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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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kennen, die in den Kabelräumen lebten und oben auf den Laufstegen, und dort sah er auch ein hingespraytes Gekritzel, vielleicht vor fünf Jahren, unter der Eighth Avenue. Bird lebt. Da fing er an, über Graffiti nachzudenken, wer wohl die Mühe und das Risiko auf sich nahm, durch diesen Tunnel zu gehen und ein Graffiti an die Wand zu sprühen, und wie viele Jahre sind seither vergangen, und wo ist Bird, und warum lebt er?
    Und der Typ, der um ihn herumgriff und sagte, Darf ich mal.
    Er fuhr am Rand von Manhattan hoch, unterwegs in die Bronx. Das war keine Kunst, die Bahnsteige und Wände zu bombardieren. Die Züge muß man signieren. Die Züge kommen die Rattenrennbahn langgezischt, alle gleich, und dann triffst du auf einen Zug, und das ist deiner, überall im Netz zu sehen, und du kommst in die Köpfe der Leute rein und verwüstest ihre Augäpfel.
    Die Türen machten Dingdong, bevor sie zuknallten.
    Er sah einen dünnen schwarzen Mann, der am Ende des Wagens stand, verächtlich, will wohl den Erfinder der Coolness markieren, und Ismael hielt ihn für einen Undercover-Bullen. Sofort fuhr er seine geistige Verfassung Richtung unauffällig herunter und zwang sich dazu, auf seinem Sitzplatz zu verschwinden, denn er war überzeugt, daß sie ihn langsam umzingelten. Vom Rathaus ging kräftiger Druck aus, Graffiti ein für allemal auszulöschen und diesen Ghetto-Crews einzuheizen, und mit ihnen gleich den weißen Mittelklassebubis, die sich an sie drangehängt hatten, deshalb waren die Graffitimaler vorsichtig und gingen auf Nummer Sicher.
    Er hatte keine Angst vor Verhaftung, nur vor den Komplikationen, die daraus folgen würden. Eine Verhaftung wäre gut für seinen Ruf. Könnte sogar einen Artikel in der Post bedeuten. Doch dann spielte auch das Thema Familie noch eine Rolle. Nicht daß er selber kein Vater sein wollte. Er mochte die Vorstellung von Vater und Familie. Aber es gab so viele Dinge dazwischen.
    Als er noch jünger war und durch die Tunnel lief, fragte er immer nach Bird und erfuhr schließlich, daß das Charlie Parker war. Ein Jazzgigant. Er redete mit den Männern, die auf den Laufstegen lebten und in dem Gütertunnel unter der West Side, der außer Gebrauch war, sie hatten Betten und Stühle und Einkaufswagen, sie hatten Hausschuhe, die sie abends anzogen, sie waren größtenteils ganz normale Männer, sie spülten ihr Geschirr und trugen ihren Müll nach draußen, und sie erzählten ihm von Bop, Bebop, und daß Bird mit vierunddreißig tot war. Und eines Tages steht Ismael, vielleicht ist er dreizehn, er steht da und pißt an eine Wand, und ein Typ kommt an und stellt sich hinter ihn und greift um ihn herum, ob du's glaubst oder nicht, und sagt, Darf ich mal, und hält Ismaels Schwanz, während er pißt.
    Tot mit vierunddreißig, das war Bird, in den Tunneln ein stattliches Alter.
    Er wußte, daß er langsam berühmt wurde, erstens, weil er Nachahmer hatte, und dann, weil andere Graffitimaler ihn respektierten und seine Sachen nicht übersprühten, außer ein paar von ihnen, und weil zwei Frauen in die Bronx gekommen waren, um nach ihm zu suchen.
    Aber so funktionierte sein Kopf zu diesem bestimmten Zeitpunkt nun mal. Bleib ganz unten und außer Sicht. Paß auf, daß weder dein Name noch dein Gesicht in die Zeitungen kommt. Krieg keinen Ärger mit der U-Bahn-Polizei. Es gab nämlich eine Frau, mit der er mal zusammengewohnt hatte, die war schwanger bis über beide Ohren. Früher wohnten sie bei ihrer Mutter und dem Teilzeitmann ihrer Mutter, und es war nicht so, daß Ismael Muñoz kein Vater sein wollte. Es war bloß so, daß jetzt nicht der rechte Zeitpunkt war, um sich persönlich zu binden.
    Er hörte, daß sie in die Minimärkte gegangen waren, zwei Frauen von den Galerien. Sie gingen in die Bodegas, die Kirche, das Spritzenhaus, er stellte sich vor, wie sie ins Spritzenhaus gingen, um sich nach Graffiti zu erkundigen, zwanzig Mann in Gummistiefeln, die Pizza mit Wurst und Pilzen aßen.
    Er saß in dem Zug der Broadway-Linie und hörte sich an, was in seinem Kopf ablief.
    Leute aus den Galerien waren überall in der Bronx unterwegs und suchten nach Moonman, nach Momzo Tops, nach Snak-Bar und Rimester und der ganzen Voodoo-Crew.
    Vergiß es, Mann. Er konnte sich leicht eine Situation vorstellen, bei der die gesamte Galerie-Szene ein Hinterhalt der Polizei war, um die Graffitimaler aus den Tunneln und Depots ans Tageslicht zu holen, identifiziert durch Namen und Gesicht.
    Der Mann hielt Ismaels

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