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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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irgendwie fipsig, leichtgewichtig und läppisch, mit eckigen Konturen und einem billigen Schimmer – simulierte taktische Ziele.
    »Ich möchte, daß wir zusammengehören«, sagte sie. »Du weißt, wie sehr ich mir ein Heim und eine Familie wünsche. Ich möchte ein Kind haben. Ich habe mir all das immer gewünscht. Ich möchte mich sicher fühlen, Matthew.«
    Ergriff zu ihr hinüber und spielte mit den losen Härchen in ihrem Nacken herum.
    »Du willst dich sicher fühlen. Das sagt dieselbe Frau, die die halbe Nacht Schwerverletzte behandelt«, sagte er. »Traumatisierte Körper. Einen Notfall nach dem anderen.«
    »Daran ist nichts Unsicheres. Das erscheint mir völlig sicher. Das kann ich am besten, und ich möchte es auch weiter machen. Genauso solltest du machen, was du am besten kannst. Das heißt nämlich sicher.«
    »Wenn ich diesen Job behalte, wie sollen wir dann zusammenleben?«
    »Das schaffen wir. Wir kriegen das hin«, sagte sie.
    Die Luft verdichtete sich, das Licht bekam einen chlorartigen Stich, und dann regnete es heftig. Sie saßen im geparkten Wagen auf einer Anhöhe und konnten nicht das Geringste sehen. Das Gewitter schien drei Meter über ihnen zu entstehen. Sie saßen da, warteten und redeten.
    Matt konnte ihr alles sagen. Es ging ganz leicht mit ihr. Sie kannte ihn seit vor seiner Geburt. Sie konnte einen Gedanken zu Ende bringen, zu dem er kaum angesetzt hatte. Sie hatte keine verschatteten Bereiche in sich, kein Schweigen und keine Verkleidung, was sicher faszinierend sein konnte, das schon, aber nicht für einen Burschen wie ihn, dachte er.
    Sie hörten sprechende Vögel wie den Schreienden Ziegenmelker und den Tyrannvogel. Nach dem Regen entfachte sich die Hitze wieder, und er suchte mit dem Fernglas nach Raubvögeln. Sie hingen in der sengenden Luft, fächerschwänzig und rauschend und großartig, und er wühlte nach dem Buch herum, als er einen großen, dunklen Vogel entdeckte, der in der Armbeuge eines hohen Kandelaber-Kaktus nistete.
    Es war ein Goldadler, noch nicht ausgewachsen, und Matt gab Janet das Fernglas und nahm es ihr wieder ab und konnte gar nicht aufhören zu reden. Er redete und lachte und schaute in die Bücher. Er redete weniger zu Janet als zu dem Vogel. Er schaute mehrmals im Buch nach, um zweifelsfrei zugunsten des Vogels festzustellen, daß es ein Adler war, ein junger Adler, mit leicht aufblitzenden Flügeln und einem Streifen Honiggold im Genick.
    Janet war nicht so beeindruckt davon. Er warf ihr einen Blick zu und entdeckte eine mehrdeutige Bitte in ihren Augen. Sie wollte etwas von ihm wissen, aber er war sich nicht sicher was. Er richtete das Fernglas wieder auf den Vogel. Der Vogel war ein Knopfdruck für sie. Man stellte den Fernseher im Schwesternzimmer an und sah wippende Giraffenköpfe im Buschland. Das war ihr Naturpark, ein beengter Raum mit ein paar Sofas und Sesseln, wo sie saß und mit dem Nachtpersonal über Kaffeepreise quasselte und unsichere Straßen und das Opfer mit den Brandwunden und dem Geruch, den man nicht beschreiben kann – das alles bildete den Haltegriff, die Sicherungsvorrichtung, die sie zum Leben brauchte.
    Aber der Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, hing nicht damit zusammen, was sie brauchte oder wo sie lieber gewesen wäre. Sie wollte, daß er etwas über sich selbst begriff.
    Jede Niederlage war ein Tod in seiner Brust, dem kleinen vogelknochigen Thorax. Mit elf war er praktisch tot. Kleine Holztürmchen – weg mit Schaden. Wie viele Jahre brauchte er, um über das Spiel hinwegzukommen?
    Fischer-Spassky, das brachte ihn zurück, und auch nur kurz, vor zwei Jahren, in Island, auf halbem Wege zwischen Washington und Moskau, wo sie einundzwanzig Partien spielten, Bobby und Boris, ein aufregendes Sommertheater aus Schwarz und Weiß.
    Matt verfolgte die Zeitungen und sah fern. Er setzte auf Bobby, den linkischen, bäurischen Bengel, der auch schon auf die Dreißig zuging. Er identifizierte sich mit Bobbys öffentlichen Kollern, den unverschämten Forderungen und den Ausbrüchen von ungesunder Unnormalität, die Bobby ständig brachte, mit der offenen Zurschaustellung seiner Verbitterung, wenn er verlor.
    Auch wenn am Ende der Sieg des Amerikaners Matts eigene verschmollte Jugend nicht im Ansatz wiedergutmachen konnte, er manövrierte das Spiel doch immerhin aus der Privatmigräne abnormer Introvertiertheit hinaus, hinein in das Gemenge da draußen, die tagtägliche Mischung aus wettstreitenden Staaten und materiellen

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