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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Vorschriften. Und eine Stimme aus dem Lautsprecher sagt, Zehn, neun, acht, sieben.«
    Sie sagte, er solle seinen Arm in den Jeep nehmen.
    »Wurde in diesem Augenblick die Geschichte zu einer Fiktion?« fragte er.
    Sie musterte ihn kurz.
    »Das ist nicht deine eigentliche Frage«, sagte sie. »Was denn dann?«
    »Ich glaube nicht, daß du diese Frage stellst. Das ist eine große Frage, und ich glaube, eigentlich interessiert dich eine kleinere Frage, und die hat nichts mit Schweinen in Uniform zu tun. Du redest von etwas völlig anderem.«
    Er sah sie nicht an.
    »Wovon rede ich denn, Janet?«
    »Sag du's mir.«
    Er hielt seine Augen auf der zerfurchten Fahrspur und sagte kein Wort. Dornige Sträucher klatschten und schrammten auf Windschutzscheibe und Türen. Sie behielten beide die Fahrspur im Auge.
    Etwa zweihundert Meter vor ihnen stand ein Bau aus Beton, bunkerartig, sandstreifig, mit Fensterschlitzen und brombeerähnlichen Ranken auf den Wänden.
    Es war fast Sonnenuntergang, und sie beschlossen, in der Nähe zu zelten. Natürlich hatte das Gebäude etwas Unwiderstehliches an sich, selbst eine ungastliche Ruine wie diese, mit Brettern vernagelt und dicht. Der Bau stand allein da, Berge dahinter, und hatte die schiefe Poesie eines verlegten Gegenstandes, wie ein Drive-in-Kino mitten in der Prärie, das seit Jahren geschlossen ist, die Audioverdrahtung hängt kreuz und quer herum, und die riesige Leinwand starrt leer in ein Maisfeld. Diese Art menschlicher Schrott vertieft die Landschaft, macht sie trauriger und einsamer und umgibt die Reaktion des Betrachters mit einem verschwommenen, traurigen, subjektiven Bedauern – nein, eher mit der Empfindung einer der Zeit eigenen Ästhetik, wie seltsam und still und wunderschön so ein Betonklotz sein kann, flüchtig bewohnt und dann verlassen, die Seele der Wildnis, geprägt von vorbeikommenden Männern und Frauen.
    »Ich würde lieber da drin schlafen«, sagte Janet, »als wieder das Zelt aufzubauen.«
    Zwei Türen waren mit Brettern fest verrammelt, und die Fenster waren schmal und hoch, aber als sie auf die Rückseite gingen, entdeckten sie eine Öffnung in Hüfthöhe und kletterten hinein. Nach all den holprigen Stunden, in denen sie mit dem Jeep über Geröll und Sand geschlingert waren, wirkte der Ort einigermaßen gemütlich. Ein Tisch, ein paar Stühle, Aktfoto-Kalender an der Wand und zwei, drei Regale voller Konservendosen, Geräte, Sicherheitsstreichhölzer und alter Zeitschriften.
    Matt dachte, vielleicht war der Bunker gebaut worden, um während der Übungen Beobachter unterzubringen, ein paar Jungs von der Artillerie, per Helikopter eingeflogen, um die Treffgenauigkeit zu prüfen, transportable Ziele zurückzubringen und möglicherweise die Positionen nicht explodierter Raketen und Bomben zu markieren.
    Wieder draußen, machte er ein Holzkohlenfeuer, und sie aßen schnell und wortkarg und kratzten die Zutaten und Reste in eine Plastiktüte, die sie im Jeep verstauten, weil sie nicht wußten, wohin damit.
    Sie nahmen ihre Schlafsäcke mit in den Bunker und zogen sich im Mondschein aus. Janet saß auf der Nylonhülle, ein Bein ausgestreckt, eins abgewinkelt, und lehnte sich zurück wie eine Sonnenanbeterin in der Mittagspause auf den Treppen zur Bibliothek. Er kam näher und setzte sich neben sie und spürte die Sonne auf ihrem Körper, die Reste der tiefen Hitze, die sich auf seine Hände und seinen Mund übertrugen, und jetzt tauschten ihre Körper ein Gefühl für diesen Tag und für das Land aus, all die Hitze und der fliegende Staub lasteten schwer auf ihrem Atem, nachgeschmeckt, aufgepickt und gefühlt und gerochen.
    Doch der Akt war melancholisch und etwas merkwürdig, er war ruhig und zärtlich und liebevoll, aber auch merkwürdig und etwas resigniert, und nachher lagen sie lange wortlos beieinander.
    »Ich finde, wir sollten morgen früh zurückfahren.«
    »Warum?« fragte sie. »Wir sind doch schon so weit gekommen.«
    »Ich glaube, wir haben alles gesehen, was es zu sehen gibt, so ziemlich.«
    »Du hast die Dickhornschafe nicht gesehen.«
    »Ich brauche die Dickhornschafe nicht zu sehen. Und die Gabelantilopen auch nicht. Es gibt nämlich Gabelantilopen da draußen, jawohl.«
    »Du hast ja kaum den Adler gesehen.«
    »Ich habe den Adler gesehen.«
    »Aus der Ferne, aber gerade mal so, in seinem Nest«, sagte sie. »Der Adler war toll. Der Adler hat alle Erwartungen erfüllt.« Sie schlief, er nicht.
    Er gestand sich schließlich ein, daß er sich

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