Unterwelt
jugendlicher Krimineller hast du auch recht. Nur daß der Begriff dem, was er später getan hat, überhaupt nicht gerecht wird.«
Sie schaute an den Gesimsen der Park Avenue entlang zum New York Central Building mit seinen Tunnelbögen über dem Verkehr und der großen Uhr und der angestrahlten Spitze, und in letzter Zeit schlief sie nicht gut, und jemand stand neben ihr und schaute dasselbe an, was sie gerade anschaute, und sie ging hinein, um Nixon winken zu sehen.
Esther Winships Wohnung war verschwenderisches Understatement, Beige, gebrochenes Weiß, große, statiöse Sofas, die nicht nachgaben, wenn man sich hinsetzte, und weite Flächen graubraunen, langflorigen Teppichs, fast keine Bilder, und die wenigen, die Esther zum Aufhängen auswählte, blieben so zurückhaltend, daß es fast schon wieder wurscht war, und das Ganze kam dermaßen hochnäsig daher, eitel Krampf und Schärfe, daß Jack ziemlich verloren darin wirkte.
Esther sagte: »Ich habe noch nicht aufgegeben, weißt du. Ich habe Agenten aufs Schlachtfeld geschickt.«
»Wozu?«
»Moonman.«
»Ich dachte, das hätten wir längst vergessen. Außerdem, hat nicht irgendwer schon eine Graffiti-Aus Stellung gemacht?«
»Da war er nicht vertreten.«
»Ich finde es eigentlich ganz gut, daß du ihn nicht findest.«
»Wieso das denn, Herzchen?«
»Du wirst ihn unter Vertrag nehmen und mich rausschmeißen.«
Das gefiel Esther. Sie hatte ein Lachen, das zweitausend Jahre alt war, salzig und heiser. Und Klara fand ein solches Gefühl für die Graffitikünstler merkwürdig. Esther hätte die vollgesprühten Züge eigentlich schlechtmachen müssen – entstellt, häßlich, fahrbare Schrotthaufen. Esther mit ihren makellosen Kostümen und Gesichtspudern und leicht klirrendem Schmuck. Esther, dachte sie, und das nicht zum ersten Mal, ihre Galeristin und Freundin und Feindin.
»Das ist natürlich der allergrößte Blödsinn.«
»Sag mir nur Bescheid, wann wir fahren«, sagte Klara.
»Raus zu mir?«
»Wegen der Postlagerung.«
»Du bist eingeladen, weißt du. Wir fahren alle. Es ist offiziell. Freitag nächster Woche.«
»Ich liebe Postlagerung«, sagte Klara.
Dabei hätte sie die Graffitikünstler verteidigen sollen, waghalsige Jugendliche, die Farbe und Zunder in den erdbebenverwackelten montäglichen Berufsverkehr brachten.
Möglicherweise Regen, lautete der Wetterbericht, aber es regnete nicht. Der Müll lag da unten in identischen schwarzen Plastiksäcken, sickerte hinaus, brannte sich allmählich einen Weg durch die Säcke, und sie schaute nach Ratten und schaute auch wieder nicht, wenn sie auf ihrem Weg ins Fitneßstudio des YWCA an dem Abfallberg vorbeikam. Sie schwamm fast jeden Tag dort, dann nicht mehr so oft und schließlich nur noch einmal die Woche, weil es beim Schwimmen darum ging, der Arbeit die Spitze zu nehmen, zu den ausgleichenden Rhythmen zurückzukehren, der angenehmen, milden Monotonie dessen, was von einem übrig ist, nach einem langen, anstrengenden Stück Arbeit und Abgeschiedenheit.
Es war der Sommer der Damaszenerpflaumen, saftig und bläulich, und sie liebte die Wassertürme, die, auf Säulen und Stelzen errichtet, wie Überbleibsel der Zimmermannsstadt in der Dämmerung schwebten, die Dinge mit der geringsten Überlebenswahrscheinlichkeit, Dübel und Dauben, das alte streifige Holz zu empfindlicher Massigkeit gerundet.
Auf einem kleinen Dachgarten mit der Billigkopie einer Marmorstatue von der Akropolis, einer männlichen Figur minus Arme und Kopf und Großteil eines Beins, und mit ramponiertem Schwanz und Vogelkotspritzern auf dem linken Brustmuskel, warum war er bloß so sexy, dachte Klara – hier sah sie den Mann zum dritten Mal in etwa sieben Wochen, Carlo Strasser, den Amateur-Kunstsammler und was immer er sonst noch war, in seinen prachtvollen italienischen Schuhen, mit einem Bauernhaus, sie erinnerte sich, bei Arles.
Wie sich herausstellte, hatte der Gastgeber schon seit ewigen Zeiten vorgehabt, sie beide zum Abendessen einzuladen. Und es stellte sich heraus, daß Carlo in Halbleiter-Elektronik tätig war, Geschäftsreisen nach Hongkong und Taiwan machte und einmal nach Mexico City geflogen war, um sich ein Fußballspiel anzuschauen.
»Eigentlich müßte ich heute in Dus-sel-dorf sein« – er sprach es komisch aus –, »aber ich dachte, wissen Sie, das Leben ist kurz, und ich sitze in letzter Zeit in zu vielen Flugzeugen, und außerdem.«
»Und außerdem können Sie zum Telefon greifen.«
»Ich kann zum
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