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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Esther.
    »Wer sagt das?«
    »Der alte Jack.«
    Klara wurde, typisch, den alten Jack irgendwann leid, ergriff dann aber für ihn Partei, aus Mitgefühl, sagte, so unrecht hat er doch nicht, und fand ihn lustig und dann wieder anstrengend, manchmal regelrecht lächerlich, aber er liebte Esther so herzensgut, sagte das auch offen, egal, wer es hörte, und erzählte Kellnern und Portiers, wie gut sie im Bett war, und Esther wußte, es war unmöglich, ihn zu bremsen, und vielleicht wollte sie das auch gar nicht. Sie brauchten beide das Drama öffentlicher Bekenntnisse, denn wie sonst hätte ihre Lebendigkeit überleben sollen?
    Ihr flogen Dinge aus der Hand. Ein Glas flog ihr aus der Hand, als sie bei jemandem auf der Terrasse stand. Allein in Esthers Auto redete sie über links abbiegen und rechts abbiegen, deklamierte laut die Fahrtroute, wies sich selber an, bei Rot zu halten.
    Miles sagte am Telefon: »Die Leute finden es total, na ja, bizarr, daß eine Frau krank werden kann, jedesmal wenn Henry Kissinger krank wird, in tausend Meilen Entfernung. Wir, die Ungroßartigen, müssen unsere Krankheiten kriegen, wie sie kommen.«
    Wind kam auf und wollte nicht aufhören, und er trug einen schwachen Hauch vom Sommerende mit sich, und Esther sagte: »Es ist wie die tramontana«, und Klara dachte komischerweise an Albert, oder vielmehr gar nicht komischerweise – er hatte die italienischen Wörter für die verschiedenen Winde geliebt, die von den Alpen herunterbliesen und von der afrikanischen Küste hoch.
    Und eigentlich mochte sie die Arbeiten des englischen Bildhauers nicht, um ehrlich zu sein, egal, welche Affinitäten ominösen Zweifels zwischen ihnen herrschten.
    »Nein, im Ernst, du siehst toll aus«, sagte Esther.
    Die Nächte, so leicht und rein. Schatten, Flüstern, die Kinnlinie eines Mannes, sein Haar und wie er ein Weinglas hält.
    Esther sagte: »Jack ist natürlich ein Baby. Deshalb blieb er neulich auf dem Sofa liegen, als er sich nicht wohl fühlte.«
    »Er wollte unter Leuten sein.«
    »Er ist das größte Baby aller Zeiten, aber wenn er mir stirbt, werde ich in einer Zehntelsekunde am Boden zerstört sein.«
    Sie liebte sie beide und sagte es ihnen, als sie abfuhr, und sie meinte es ernst, so wie man es immer ernst meint nach vier windigen Tagen und Nächten und gutem Essen und Gesprächen und den glatt bis zu den Dünen reichenden Kartoffelfeldern unter dem hohen, raschen Himmel.
    Solch ein Glück, am Leben zu sein, dachte sie und nahm den Zug zurück, menschlich unauffällig auf ihrem geräumigen Sitz, wo sie eine Zigarette rauchte und sich darauf freute, wieder zu Hause zu sein – allein zu Hause, umgeben von all den Dingen und Strukturen, die einem die Vertrautheit mit sich selbst zurückgeben.
    Ihr Vater pflegte zu sagen, Das beste an einer Reise ist das Nachhausekommen.
    Aber wann waren sie je weggewesen? Nur selten und kurz, ein gemieteter Bungalow an einem See, mit einer anderen Familie, denn Gott behüte, beengt sollten wir uns nicht fühlen, sagte ihre Mutter, und laßt uns schnell zurückfahren, bevor jemand die Nachricht klaut, die wir für den Milchmann dagelassen haben.
    Als Klaras Mutter eine Visitenkarte in seiner Jacke fand – sie brachte seinen Anzug zur Reinigung und fand eine Geschäftskarte mit seinem Namen, aber ohne Firma, und der Name war Sax geschrieben, und natürlich fragte sie ihn danach.
    Er sagte ihr, die sei für Reisen, die er eventuell unternehmen würde. Er wollte eine Karte haben, die er Leuten geben konnte, denen er vielleicht im Zug begegnete.
    Ihre Mutter sagte, Danach frage ich gar nicht. Abgesehen davon, daß so eine Reise die reinste Sag-ich-lieber-nicht ist.
    Wonach fragst du denn dann?
    Ich frage nach der Schreibweise. Ihre Mutter sagte, Sachs ist doch kein schwieriger Name.
    Er sagte, Das ist keine Frage von schwierig oder leicht.
    Ihre Mutter fragte, Was ist das, S-a-x? Was ist das? Wechselst du jetzt den Beruf, heißt es das? Haben wir jetzt einen Jazzmusiker im Haus?
    Er sagte, Es ist nur eine Kleinigkeit, laß doch.
    Ihre Mutter sagte, So eine Kleinigkeit auch wieder nicht.
    Er sagte, Die Namen werden gleich ausgesprochen. Es ist eine Kleinigkeit. Ich habe die Schreibweise nur verändert, damit er für jemanden im Zug, der leichte Namen gewöhnt ist, leicht auszusprechen ist. Weil die meisten Namen im Geschäftsleben nämlich leicht sind, wenn dir das schon mal aufgefallen ist.
    Sachs ist ein leichter Name. Ihre Mutter sagte, Das ist kein schwieriger Name,

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