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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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starten.«
    Lenny war ein gutaussehender Kerl mit dunklen Haaren und verschatteten Augen, und er ähnelte einem Westentaschenhai, der zu weiterreichenden, verwegeneren Intrigen befördert worden ist. Seine Augenbrauen bildeten einen kosmopolitischen Bogen, wie um seine aufdringliche Ausstrahlung erst richtig hervorzukitzeln – wenn du blöd genug bist, auf meinen Schmu reinzufallen, ist das dein Problem, du Schmock.
    Und er sagte: »Stellt's euch vor« und schnippte mit den Fingern, ließ den Geist aus der Flasche. »Sechsundzwanzig Burschen in Clarckent-Anzügen machen sich bereit, einen Luxusbunker zu betreten, etwa eine halbe Meile unter dem Weißen Haus, und die Dekorateurstunte geht in letzter Sekunde noch mal die Checkliste durch. Mal sehen, pflrsichfarbene Wände, umwerfend. Den Kronleuchter hab ich in einer kleinen Abtei bei Paris gefunden. Keinen Statler-Hilton-Schrott in meinem Atombunker.«
    Und selbst diejenigen unter den Zuschauern, die Lennys übliche Seats kannten, den Stimmapparat mit seinen endlosen Verschiebungen und Modulationen und angenommenen Identitäten, das sprudelnde Untergrundvokabular und die Provokationen – selbst sie verspürten einen kleinen, heilsamen Ruck bei der Tonhöhe der Dekorateurs stimme.
    »Teppiche, sagenhaft, edelste persische Sklavenarbeit. Bogenfenster, na gut, wir sind zwölf Stockwerke unter der Erde, aber der Vorhangstoff war unwiderstehlich, also Ruhe bitte, ja? Eßtisch, Plantagen-Mahagoni, elf Flaschen Zitronenspüli. Prachtstück, selber entworfen, Glanzlicht seiner Karriere. Ein Riesenberg Krabbenfleisch, in den Umrissen – davon werden sie begeistert sein, es ist so kraftvoll und bewegend – jawohl, geformt in den Umrissen von Kennedy und Chruschtschow beim Ringkampf, nackt. In Lebensgröße.«
    Lenny knickte bei seinem Rundumschlag leicht mit dem Knie ein, pausierte kurz, damit das Publikum das Bild vor sich erstehen lassen konnte.
    »Gut, das reicht, ich kann ja nicht in Bewunderung erstarren, jeden Augenblick müssen sie hier unten sein. Der Präsident, der Außenminister, die Generäle und Admiräle, dieser und jener und der mit den Geheimcodes für die Atomraketen – zufällig ein stubenreiner Jude, also wird es kein Gerangel geben. Mal sehen, was noch? Besteck hat er erledigt, Stielgefäße ebenso. Schoko-Minz-Täfelchen für nach dem Diner, mal sehen – serviere ich Mokka oder Café noir?«
    Er wiederholte die Eröffnung, überprüfte den Satz auf Stil und Paßform.
    »Guten Abend, liebe Mitbürger.«
    Ein Raunen neuerlicher Vorfreude – vielleicht wollten sie gern, daß er die Präsidentenmasche fortsetzte, aber er tat sie mit einer Handbewegung wieder ab und stand da, irgendwie aus den Hüften summend, dazu ein kleines Wackeln, das wirkte, als setzte es die nächste Idee in Gang.
    Dann gab er einen schrilleralsschrillen Falsettschrei von sich.
    »Wir werden alle sterben!«
    Darüber lachte er sich kaputt. Er knickte in der Taille ein vor Lachen, benutzte sein Mikro offenbar als Geigerzähler, schwenkte es über die Bretter der Bühne.
    »Zieht euch das mal rein . J FK hat diesen russischen Menschenbullen vor sich, der ihn in Grund und Boden starrt, sie stehen Schnauze an Schnauze, und mit diesem Typ kann Jack nicht umgehen. Was soll er sagen? Ich hab aber mehr Debütantinnen als du vergenuß-wurzelt? Das ist ein Bergmann, ein Bursche, der für eine Handvoll Kopeken barfuß das Vieh gehütet hat. Von dem wird erzählt, daß er einer Sau die Faust in den Arsch steckt, wenn er seinen Gemüsegarten düngen will. Was soll Jack zu ihm sagen – mir hat aber im Fahrstuhl vom Weißen Haus eine Sekretärin einen runtergeholt? Der Bursche da scheißt bei offener Tür auf Staatsempfängen. Der fickt mit seinen Bowlingtrophäen.«
    Die Sitzgelegenheiten im Troubadour bestanden hauptsächlich aus Klappstühlen, und wenn genug Leute lachten, kam ein pfeifendes Ächzen aus den Zargen und Scharnieren. Und das Publikum saß da und dachte, Wie real kann diese Krise sein, wenn wir in einem Club am Santa Monica Boulevard sitzen und ha ha ha machen.
    »Wir werden alle sterben!«
    Lenny liebt den postexistentiellen Touch dieser Pointe. In seinem aufgekratzten Kreischen kann das Publikum hören, wie der Gedanke der Einzigartigkeit und der freien Entscheidung ausgemerzt wird. Es kann hören, wie die Vereinsamung des Menschen von der massiven, unweigerlichen Katastrophe abgelöst wird. Seine größten Anhänger lachen am lautesten. Ihre selbstgefällige Fan-Eitelkeit wird

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