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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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sich ein interessiertes Lächeln über sein Gesicht legte. Doch danach warst du auf unbekanntem Territorium. Ein oberschlaues, hämisches Grinsen. Aber nachdem du mit Gewalt abgedrückt hattest. Der Abzug war schwergängig und holprig. Und nachdem du mit Gewalt abgedrückt hattest, warst du anderswo, nahmst Geräusch und Bewegung auf, die Gestik, die Art, wie er zuckte und fiel, obwohl zucken nicht das passende Wort ist – es war eine Bewegung, die du weder verstehen noch beschreiben konntest, das lag jenseits deiner Möglichkeiten als Zeuge.
    In Staatsburg gab es die Frau im Büro, Dr. Lindblad, und ich hatte regelmäßige Termine, klopf-klopf, und sie sondierte das Thema dieses Schusses, während ich versuchte, ihre Beine zu erspähen.
    Vergiß mal eine Minute, daß du derjenige bist, der ihn erschossen hat.
    Du kannst die Bewegung nicht richtig beschreiben, weil sie sich auf einer Ebene der Realität befand, die nicht eingeübt war, von keinem von euch beiden. Das scharnierlose Hochfahren eines Arms, des rechten Arms, peitschend und ausgerastet wie das amoklaufende Teil einer Maschine, und der ganze Krampf des Körpers, etwas Arrhythmisches, außerhalb der Grenzen der Erfahrung.
    Und nicht vergessen, er saß auf einem Stuhl. Der Stuhl bewegte sich ganz ähnlich wie der Mann. Der Stuhl hätte eine Variante des Mannes sein können, so drastisch taumelte er gegen die Wand.
    Und natürlich der eigene Schock, das Trauma der Wahrnehmung – wie sollst du merken, was passiert, wenn du selbst unter Schock stehst?
    Dr. Lindblad fragte: »Möchtest du denn eines Tages eine Familie haben?«
    »Weiß nicht. Hab noch nicht drüber nachgedacht. Nein«, sagte ich. »Glaub ich kaum. Kinder? Ich will keine Kinder. Ich will kein Vater sein.«
    »Warum denn?«
    »Warum denn. Weiß nicht. Nach dem, was ich getan habe? Ich glaube nicht, daß ich ein Vater sein sollte. Sie etwa?«
    »Was hast du denn getan, Nick?«
    Ich lächelte sie an. Ich mochte Dr. Lindblad. Sie sah nicht gut aus, aber sie hatte ordentlich Holz vor der Hütte. Die Alley Boys mochten sie, die Mitglieder der Bande, denn sie hörte sich ihre Geschichten an, ohne Urteile zu fällen. Sie vollführte raffinierte Balltricks mit der Wut, der Scham, den matten Entschuldigungen der Burschen. Sie versuchte nicht, sie von ihrem Gefühl des Unvermeidlichen abzubringen. Sie waren im Kriegszustand mit der Gesellschaft, was soll's, etwas anderes zu behaupten. Ich erzählte ihr nichts, aber ich ging gern in ihr Büro und roch die Möbelpolitur und überflog die Titel der Bücher und spähte nach der Wölbung ihrer Brüste unter dem Stoff der enganliegenden Bluse, die sie gerade trug.
    Einer der Alley Boys schaute aus dem Fenster des Speisesaals und sagte: »Das ist ein Disney-Film, Mann.« Er meinte den Minigolf-Platz. »Und wir sind die Zwerge, die da drin spielen sollen.«
    Meine Besserung sollte schlüssig und wirkungsvoll sein, so wollte ich es. Sie hatten zunächst versucht, mich als Erwachsenen vor Gericht zu stellen, obwohl ich erst siebzehn war, und ich stimmte mit ihren Argumenten überein, daß ein Element der Kaltblütigkeit in diesem Verbrechen lag, ganz gleich, in welchen Abstufungen. Als ein Richter verfügte, daß der Staatsanwalt das nicht dürfe, versuchten sie, mich wegen Totschlags anzuklagen, und wieder dachte ich, warum nicht, schließlich hatte diese Tat etwas Erbarmungsloses, aber mein Anwalt Imperato, ein Mann mit fahlen Wangen und einer Aktentasche, die sich häutete, einigte sich auf ein Delikt mit geringerer Strafandrohung, sie entschieden auf Strafmilderung, und nun stand ich da, an einem milden Sommermorgen wenige Tage vor meiner Entlassung, und betrachtete den Golfplatz, und ich sah, daß jemand lauter Namen auf all die Wälle und Windmühlen gemalt hatte, die Spitznamen der Bandenmitglieder, ein Hoch auf die Alhambras, und die Jungs glotzten und zeigten drauf und schütteten sich aus vor Lachen, und ich dachte, am besten fange ich jetzt mit meiner Runde schuldbewußter Verabschiedungen an.
    Denn du warst Schütze und Zeuge zugleich, und du kannst diese Rollen voneinander trennen. Der zweite konnte nichts tun, um den ersten am Handeln zu hindern. Der zweite konnte die Tat nicht aufhalten, konnte nicht damit fertig werden und sie am Ende auch nicht recht wahrnehmen. Sie saß zu tief, selbst als sie seine Augen erreichte, deine Augen. Dieses schrecklich Krampfartige, dieses ganze ächzende Hinsacken, die Preisgabe von Leben und Atem an diese vehemente

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