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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Arm verdrehte.
    Der gepanzerte Transporter bewegte sich langsam durch die Straßen, Scheinwerfer drehten sich auf dem Dach.
    Die Kirche füllte sich mit Menschen, die dem Gas zu entkommen suchten, dem Reizgas in den Seitenstraßen der Lynch Street in Jackson, Mississippi, an einem schwülen Sommerabend mit lärmenden Radios und Kindern, die an den Fenstern von zusammengeschusterten Hütten standen und den durch die Dunkelheit rennenden Männern nachschauten.
    Rosie fing an zu laufen. Sie sah, wie der Bulle den Mann methodisch niederknüppelte, drei, vier Schläge, dann Pause, und sie lief auf die beiden zu.
    Das Gas leuchtete, es glomm im Dunkeln, und die Männer in den Insektenmasken kamen lebendig und frisch aus der Wolke spaziert.
    Der Mann, der die Fensterscheiben seines Wagens hochgekurbelt hatte, ein Sechzigjähriger in weißem Hemd und Strohhut, ging nun über die unbefestigte Straße auf sein Haus zu, er schmeckte das Gas und zog sich den Hut ins Gesicht und trat versehentlich gegen eine Limoflasche, die irgendwer geworfen hatte und die noch heil im Staub lag.
    Sie beobachtete, wie der Bulle den Mann auf Kopf und Arme schlug, drei, vier Schläge mit dem Gummiknüppel, dann Pause, und sie drängte sich zwischen ein paar Absperrungsböcken hindurch und lief direkt auf sie zu, fühlte sich schnell und leicht und unaufhaltsam.
    Das Gas strömte in Wellen und Wolken durch die Straßen, zog sich in den schmalen Seitenstraßen zusammen und zwängte sich in geschlossene Räume hinein.
    Sie hatte keine Ahnung, was sie tun wollte, wenn sie die beiden erreicht hatte, in etwa vier Sekunden.
    19. DEZEMBER 1961
    Charles Wainwright telefonierte mit einem Kunden in Omaha, beruhigend, schmeichelnd, scherzend, und machte lauter Versprechungen, die er nicht würde halten können. Er fühlte sich ziemlich losgelöst von den anstehenden Angelegenheiten, die Augen leicht verschwommen in dem angenehmen Erschlaffen nach einem langen, feuchten Mittagessen.
    Er hörte sich sagen: »So über den Daumen gepeilt würd ich sagen, Dwayne, diese Kampagne ist von uns aus, also zeitlich gesehen, in viereinhalb Wochen präsentationsfertig. Vier Wochen Minimum. Wir haben gerade unseren besten Art-Direktor auf die Sache angesetzt. Drei Wochen, wenn der liebe Gott mitspielt. Ganz zufällig hat der liebe Gott nämlich eine Wohnung in New York, weil hier die Post abgeht. Aber im Ernst, der Bursche ist ein preisgekrönter Art-Direktor, und er sitzt in diesem Augenblick in seinem Büro am Rohentwurf.«
    Genau in diesem Augenblick steckte Pasqualini, der Art-Direktor, den Kopf durch die Tür.
    »Was ist der Tod?«
    Wainwright lächelte und zuckte die Achseln.
    »Ein lieber Gruß von Mutter Natur, daß du es etwas langsamer angehen sollst.«
    Charlie warf den Kopf zurück, um ein Lachen anzudeuten, und Pasqualini ging den Flur hinunter, um den anderen Kundenberatern den Witz zu erzählen, Charlies Kollegen, den Burschen mit Button-down-Krägen und Chromlächeln – sie tranken Gibson pur und sagten, Danke auch.
    Im Grunde fand Charlie, daß der Witz wunderbar hierherpaßte. Oder stimmte es etwa nicht, daß jeden Morgen in der Times die Todesanzeigen und die Berichte aus der Welt der Werbung auf gegenüberliegenden Seiten standen?
    Charles Wainwright war Etatdirektor bei Parmelee Lockhart & Keown, einer mittelgroßen Werbeagentur mit Sitz im Fred-F-French-Building an der Fifth Avenue in New York.
    Der Laden hatte in letzter Zeit einige Rückschläge erlitten. Und jedesmal, wenn ein weiterer Klient die Tür von draußen zumachte, senkte sich Stille über die teppichausgelegten Flure. Die Leute standen an den Kaffeewagen Schlange, ihre wuchtigen Kaffeebecher in der Hand. Die Witze, die sie erzählten, hatten eine bittere Schärfe. Leitende Angestellte telefonierten hinter verschlossenen Türen. Die Junior Art-Direktoren saßen auf der Ersatzbank, bei abgeschaltetem Radio und gedämpftem Licht. Texter genehmigten sich dreistündige Mittagspausen und kamen sturzbetrunken zurück. Sie saßen in ihren Bürozellen, starrten ihre Memos auf der Pinwand an und fragten sich, warum sie versagt hatten, falls sich Versager so fühlten wie sie jetzt.
    Manchmal mußte Charlie Leute feuern. Einmal feuerte er drei an einem Tag, zwei vorm Mittagessen und einen danach. Er feuerte einen großen und einen kleinen Mann in derselben Woche. Das war der Pat-und-Patachon-Rausschmiß. Er feuerte einen Mann, der sich von einem Herzanfall erholte, und eine Frau, die gerade gestorben

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