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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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zu erkennen, was da draußen im Dunkeln ablief. Stimmen, rennende Menschen, die auf sie zukamen und wieder kehrtmachten.
    »Ich sage folgendes. Ich sage, es gibt nichts auf der Welt, worüber ihr euch Sorgen machen müßt, auch wenn es um euch herum ganz anders aussieht. Denn immer wenn ihr schwarz und weiß beieinander seht, dann wißt ihr, sie arbeiten gemeinsam daran, daß alles besser wird. Steht so in der Verfassung.«
    Noch eine Flasche zerbrach.
    Und im Busbahnhof sah Rosie Martin eine Frau, die, Gesicht nach unten, Kopf voraus, nach draußen geschleift wurde.
    Die Wachmänner drängten sich in die Menge vor der Kirche, hielten ihre Gewehre mit den Bajonetten in Präsentierstellung, und hinter ihnen kam das Gas.
    Im Busbahnhof fing ein Bulle an, die Leute auf Arme und Beine zu knüppeln. Rosie beobachtete ihn gelassen, zählte, wieviele Sit-in-Demonstranten ihn noch von ihr trennten.
    Der charismatische Redner sagte: »Die sprühen, ich rede. Ich werde so lange weiterreden, wie ich noch einen Kehlkopf habe, der funktioniert. Schwarze reden furchtbar gern«, sagte er.
    Die Demonstranten setzten sich hin, sie zerstreuten sich, ein paar gingen in die Kirche, ein paar rannten in die andere Richtung, und andere wurden von den Wachmännern über den Boden geschleift, auf die abgesperrte Straße zu.
    Im Busbahnhof hatten die Bullen alle ihre Knüppel rausgeholt und gingen gebückt zwischen den Demonstranten umher, die vornübergebeugt, die Arme über den Köpfen, dahockten.
    Das Gas strömte durch die Straßen, versengte den Menschen die Augäpfel, als würden die Augen durch die Hitze aus den Höhlen gesaugt. Die Straßen waren voller rennender Männer und Frauen. Das Gas strömte heran, und sie irrten durch die Seitenstraßen, tasteten sich voran, mit Atembeklemmungen, von Hustenanfällen geschüttelt, und einige von ihnen entschieden sich dafür, halb blind auf die Kirche zuzutaumeln.
    Rosie wußte, sie würde auf der Ladefläche eines offenen Müllwagens ins Gefängnis gebracht, in eine überfüllte Zelle gesperrt und mit einer nach Pisse stinkenden Matratze bedacht werden, so lauteten seit Tagen die Gerüchte.
    Schwarze kamen die dunkle Straße entlanggerannt, und die Männer, die sich an das Auto gelümmelt hatten, rührten sich endlich. Der Mann mit den blauen Hosenträgern betrat ein Holzhaus, und der Mann mit dem Strohhut stieg ins Auto und kurbelte die Scheiben hoch, dann stieg er wieder aus, und die anderen Männer rutschten von den Kotflügeln herunter und gingen auf die Veranda, stellten sich zu der Frau, die auf die Straße schaute.
    Frauen wollten dieselben Haftbedingungen wie Männer. Das war eine klare Forderung.
    Wachmänner sammelten sich um den gepanzerten Transporter, insektenköpfig, und spähten in die dunklen Seitenstraßen auf der Suche nach Studenten, die Steine warfen, oder nach Männern aus den Bars, den Kneipen, die Dosen mit Colt-45-Malzbier noch in der Hand, und sie hörten den Redner sagen: »Es ist alles eine Frage von Kopf und Zahl. Die machen sich keinen Kopf, und wir zählen nicht.«
    Rosie wurde auf dem Arsch auf die Straße gezerrt, auf dem Hosenboden herumgewirbelt und einfach sitzengelassen. Sie erblickte Barrikaden aus Holzböcken und Streifenwagen, herumwimmelnde und – rempelnde Leute, Fotografen, die ihre Blitzlichtbirnen platzen ließen, und dann meinte sie das erste Gas zu schmecken.
    Menschen stolperrannten durch die Reihen der Wachmänner auf die Kirche zu.
    Sie sah den einbeinigen Mann auf Krücken, nach Wochen der Busfahrten und Märsche über Staatsgrenzen hinweg eine inzwischen vertraute Gestalt. Und den Mann, der geschlagen wurde. Sie sah einen dünnen Mann, der von einem Bullen mit dem Gummiknüppel geschlagen wurde, dreimal, viermal, dann wieder, mit aufblitzenden weißen Augen.
    Die Frau auf der Veranda spürte, wie die Luft brannte, und ging hinein, und die Männer gingen mit ihr ins Haus junge Männer rannten vorbei, Studenten und Demonstranten, und einer von ihnen blieb lang genug stehen, um eine Flasche in die Gegenrichtung zu schleudern.
    Von dem Gas, genannt CS, wurde den Menschen fast augenblicklich schwindlig, und es verursachte ein Brennen am Körper, wo die Haut feucht war.
    Rosie roch das Gas, sie schmeckte es, bevor sie es sah. Ein Trooper verdrehte einem Mann den Arm und drückte ihn auf den Kofferraum des Streifenwagens, und ein anderer Trooper stand daneben, zwei Waffen in der Hand, seine eigene und die seines Kollegen, der dem Demonstranten den

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