Unterwelt
einen von weitem zu hassen. In Exeter geflogen, von Choate verjagt und Andover geschmissen – drei Prep Schools, das reichte. Chuckie war es egal. Charlie nicht, es tat ihm weh. Wie konnte er so ein gefühlsbesetztes Objekt, ganz gleich, welche Uneindeutigkeit im Korkherzen des Balls pochte, diesem ziellosen, verirrten, alternden Kind schenken, Displaced person im eigenen Leben?
Pasqualini steckte den Kopf durch die Tür, auf dem Rückweg in seine Abteilung.
»Wie nennst du einen einszwoundneunzig großen, hundertdreißig Kilo schweren Neger, der dir in einer dunklen Gasse übern Weg läuft?«
Charlie lächelte dünn, auf der Hut vor der neuen Welle von Bürgerrechtswitzen, und hob den Kopf, um anzudeuten, Wie? »Mister.«
Er hatte einmal eine schwangere Frau gefeuert. Und einen Mann, der mit der holländischen Königsfamilie verwandt war. Er hatte einen Katholiken, einen Protestanten und einen Juden in ziemlich dichter Folge gefeuert. Er hatte einen Mann gefeuert, weil er bei der Bootsfahrt, die ihren Betriebsausflug darstellte, ins Wasser gefallen war, und einen anderen, weil er sich bewaffnet zu einem Kundengespräch begeben hatte.
»Es gibt ein Forschungsprojekt, Dwayne, über ein Phänomen namens Netzhaut-Ausfluß. Da werden Frauen heimlich im Supermarkt fotografiert. Hochempfindliche Kameras werden auf den Regalen versteckt, die jede Erregung des Innenauges registrieren, Bewegungen des Auges, die wesentlich subtiler und vielsagender sind als ein einfaches Zwinkern, und wie es aussieht, drehen Frauen bei bestimmten Farben, Formen und Packungen vollkommen durch, rein augapfelmäßig. Das sind im Grunde Orgasmen im Auge, im Hirn und im Nervensystem. Und wie nutzen wir diese Forschung? Ganz einfach. Wir setzen das Auftreten von hohem Netzhaut-Ausfluß in Verbindung mit den jeweiligen Produkten, die ihn hervorgerufen haben, und dann entwerfen wir unsere Produkte und ihre Verpackung dementsprechend. Wenn wir den Verbraucher erst mal bei den Augen packen, haben wir den Marketingprozeß völlig unter Kontrolle.«
Sandy kam wieder herein und fing an, mit tonlosen Lippenbewegungen irgendeine komplizierte Botschaft zu übermitteln.
Aber wenn Charlie den Baseball wirklich für echt hielt, würde er ihn dann so offen und unbewacht herumliegen lassen, jede Putzfrau könnte ihn doch kurzerhand nehmen und ihrem Kind daheim mitbringen, weil sie nicht genug Geld verdiente, um ihm einen eigenen zu kaufen, oder irgendein Laufbursche vom Café um die Ecke – er stellte sich einen dunkelhäutigen Mann vor, der an einem lahmen Nachmittag durch die Flure schlendert, mit Kaffee ohne Milch und einem getoasteten English Muffin in einer weißen Tüte, und die ganze Zeit nach etwas zum Arschzwicken Ausschau hält.
»Sie will mit uns reden, Dwayne. Ja, meine Sekretärin. Hab ich Ihnen schon mal erzählt, wie sie tippt? Sie zieht gern ein Bein unter sich. Bevor sie anfing, sich auf ihren Fuß zu setzen, schaffte sie ungefähr fünfundzwanzig Wörter pro Minute. Jetzt ist sie bei zweihundert.«
Charlie war von bestimmten Marotten und Eigenarten fasziniert, die Sandy in ihre Arbeit einbrachte. Sie hatte diese besondere englische Qualität, unglaublich frisch und knusprig auszusehen, selbst wenn sie gerade geschmacklose Andeutungen über den Zustand ihrer Unterwäsche von sich gab oder die Tatsache erwähnte, daß sie nur duschte, wenn ihre Mitbewohnerinnen Fiona und Georgina sie ordentlich unter Druck setzten.
Charlie sprach mit Omaha und entzifferte gleichzeitig die lautlos übermittelte Botschaft seiner Sekretärin.
»Sie teilt uns gerade mit, daß sie früher gehen muß, Dwayne. In letzter Zeit ist sie ziemlich oft früher gegangen. Und macht auffällig lange Mittagspausen. Wir wissen ja, was das heißt, nicht wahr? Eine Affäre mit einem verheirateten Mann.«
Sandy mimte einen Kollaps im Stehen, baff über die Unverschämtheit des Mannes. Seine Dreistigkeit, seine Unverfrorenheit, sein verdammte amerikanische New-York-Frechheit. Charlie schenkte ihr sein Richard-Widmark-Grinsen. Er hatte keinen Grund, sie für den Rest des Nachmittags dazubehalten, bat sie aber, ihm noch einen Orangensaft zu bestellen, bevor sie ging.
Charlie wollte den Auftrag von Minute Maid angeln. Er dachte die ganze Zeit an Orangensaft. Er betrachtete ihn, trank ihn, phantasierte darüber. Er wußte, wie man für Orangensaft Werbung macht. Vergiß Florida. Vergiß die popligen Vitamine. Auf den Appetitanreiz mußt du setzen, das Auge trinkt mit, das ist
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