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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Jahrgang 1950, Männer mit einer gewissen Distanz im Blick, aber immer noch aufmerksam auf jedes wundersame Zeichen achtend, das sich im Kosmos rühren mochte, außerdem eine Frau im Patchworkhemd mit einem Säugling im Tragebeutel, vermutlich das erste und letzte Kleinkind, das je bei Lenny war, aber schließlich war dies San Francisco in der entscheidenden Woche.
    »Kennedy tritt vor die Öffentlichkeit, und du hörst die Leute sagen, Ich hab seine Haare gesehen! Oder, Ich hab seine Zähne gesehen! Das ist ein so umwerfender Anblick, daß sie ihn gar nicht verkraften können. Ich hab seine Haare gesehen! Sie verehren schon die heiligen Reliquien, dabei lebt der Knabe noch.«
    Im Kanon der Beatniks hatte Amerikas Verkommenheit die Bombe hervorgebracht. Vielleicht schluckten sie Lennys gespielte Heuchelei und die dazugehörenden Dinge, vielleicht bedauerten sie, daß er wegen Drogen durchsucht und wegen Obszönitäten vor Gericht gestellt worden war, aber der russische Akzent und andere ethnische Motive und Effekte, die aus ihm rausgesprudelt kamen wie Mineralwasser aus einer alten Abfüllfabrik in Canarsie, ließen sie vermutlich völlig kalt. Die gesamte Beat-Welt war von der Bombe überschattet, immer gewesen. Die Beatniks brauchten keine Raketenkrise, um an die Bombe zu denken. Die Bombe war für sie der naheliegendste Bezugspunkt zur moralischen Verwahrlosung Amerikas, zu dem schuldbeladenen Standort von Schornsteinen und Roboterkonzernen, der durch die Mühle von Time Magazine und J. Edgar Hoover gegangen war, zu dem Land, wo in Tausenden regengepeitschten Trucker-Raststätten auf der Jazzprärie die Leute mit gesenktem Kopf über ihrer Tasse Kaffee saßen, heimliche Trotzkisten und traurige Nymphomaninnen mit buddhistischen Muschis – und darüber machte sich Lenny lustig. Lenny war Showgeschäft, er war in Kostüm und Maske, kalt und korrupt, Leichenbestatter und Kabarettist, und die Bombe gehörte zu einer bedrohlichen Werbekampagne, die aus dem Ruder gelaufen war.
    An diesem Abend trug er eine Nehru-Jacke, eine dunkle Tunika mit hohem Stehkragen, die mal gereinigt und gebügelt werden mußte, und er hatte sich einen weißen Regenmantel um die Schultern gelegt – entweder hatte er vergessen, ihn auszuziehen, oder er war von vornherein schon auf dem Absprung.
    Er stürzte sich in eine impressionistische Suada. Schwer, ihm zu folgen. Über Gerichtsprozesse, Rechtsanwälte und Richter. Als hörte man jemandem zu, der meinte, er redete mit jemand anders.
    Dann brach er ab und sagte: »Liebt mich. Deshalb bin ich hier. Heute abend und jeden Abend. Wenn ihr mich nicht mehr liebt, sterbe ich.«
    Das war noch kein Sketch. Der Sketch kam erst noch. Den hatte er sich ausgedacht, während er im Flugzeug von L.A. auf dem Plastikklo für Pygmäen saß, und neben seinem rechten Auge blinkte ständig eine rote Leuchtschrift Return to seat Return to seat.
    »Der Erzengel Gabriel erscheint am Himmel über Havanna. Die Bodyguards wecken Castro, und er sagt zu ihnen, Laßt mich in Ruhe, und sie sagen, Das ist der Bote Gottes, und er steigt in einen Hubschrauber und fliegt da rauf. Der Engel trägt ein weißes Gewand und hält eine flammende Trompete in der Hand, und Castro ist verblüfft, als er sieht, daß Gabriel ein schwarzer Mann ist. Er denkt, Klasse, ein Neger, der sich ausdrücken kann, da reden wir doch gleich mal Tacheles. Er sagt zum Engel, Ich glaube nicht an Gott, aber ich hab mal 'ne Frage. Auf welcher Seite stehst du in dieser Krise? Und der Engel sagt, Ich sag das nur einmal. Auf der Seite, die Baseball und Jazz hat. Castro sagt, Wir haben Baseball und Jazz. Wir nennen es afrokubanische Musik, und du würdest echt drauf abfahren. Swingt wie nur was. Und Gabriel sagt, Spiel dich hier nicht so auf, du Wichser. Ich hab mit Bird geblasen, verstehst du, wir haben früher in Harlem zusammen gejammt. Also, du willst wissen, auf welcher Seite ich stehe. Auf der Seite, die Mom und Apple Pie hat. Castro darauf, No problema. Die Russen haben Mom und Apple Pie auch. Bloß nennen sie tsjablochipirog. Und der Engel, Na schön, wenn du dich für so schlau hältst, auf der Seite, die Donald Duck, Mickymaus und die Mafia hat. Und Castro sagt, Scheiße, wir haben die Mafia aus Kuba rausgeschmissen. Aber wieso verbrüdert ihr euch denn mit denen? Da sagt der Engel, Unser Herr Jesus hat eine Schwäche für lafamiglia. Castro sagt, Wie kommt das? Und der Engel sagt, Was denkstn du, Mann? Er ist doch Italiener. Castro sagt, Moment

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