Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
mehr so im Zweifel. Aber dann hab ich dem Jungen zugehört.«
    »Und Sie hatten das Gefühl, Sie wüßten es.«
    »Ich hatte das Gefühl, genau. Ich wußte es. Hab es nämlich an seiner Stimme gehört.«
    »Und es auch gesehen.«
    »Hab es vor mir gesehen. Bei so was würd er nicht lügen. Wenn's drauf ankommt, ist er ein guter Junge.«
    »Und beim Baseball. Da kommt's drauf an.«
    Manx faßt Mut, weil der Mann so einsteigt, denn noch einen Reinfall will er nicht erleben. Aber zugleich will er Charlie nicht als Dämlack sehen, einen Bauerntrottel im Dufflecoat, der auf eine simple Geschichte reinfällt. In diesem Fall stimmt die Geschichte, aber was macht das für einen Unterschied? Manx hat schon unglaubliche Lügen erzählt, die ihm leichter von den Lippen gingen als alles, was er über diese kleine, kugelrunde Tatsache sagen könnte.
    Der Mann mustert den Ball.
    Manx beschließt, fünfzehn Sekunden lang den Mund zu halten. Damit die Situation eine feierliche Wendung nimmt. Und der Kunde die Chance hat, sich in die Ware zu verlieben.
    »Also, ich sehe da einen grünen, einen kleinen, irgendwie grünen Farbfleck bei der Naht, zwischen der Naht und dem Warenzeichen«, sagt Charlie, »und ich weiß mit Sicherheit, weil das jemand im Radio gesagt hat, daß der Ball einen Stützpfeiler getroffen hat, als er in die Tribüne flog. Und die Pfeiler in den Polo Grounds, das weiß ich auch mit Sicherheit, sind grün.«
    Manx macht einen kleinen Hüpfer aus der Hocke. Er ist freudig erregt, das zu hören. Als müßte er davon überzeugt werden, als wäre
    die Bemerkung des Mannes der Beweis, den er braucht, um Cotter als ehrlichen Jungen sehen zu können, von einem Bengel, der Widerworte gibt und Drehkreuze überspringt, in einen ehrlichen, aufrechten, pflichtbewußten Jungen verwandelt, na endlich mal.
    Der Mann hebt die Augen vom Ball und schaut Manx an. Dieser Blick sagt, ich möchte gern glauben. Und Manx fällt nichts ein, ums Verrecken nichts, wirklich buchstäblich ums Verrecken nichts, was den Mann dazu brächte, einen Schritt weiter zu gehen und das Geschäft perfekt zu machen.
    Charlie kümmert sich selber darum, sagt ein paar ziemlich überzeugende Sachen, diesmal zu seinem Sohn, über die Firma, die den Ball herstellt, und den Liga-Präsidenten, dessen Name auf den Ball geprägt ist, und andere Angelegenheiten und Details, allesamt zufriedenstellend, wie es scheint, und der Junge ist müde und gelangweilt und friert, und Manx schaut sich nach einem fliegenden Händler mit heißem Kakao um, denn es schadet nie, wenn man mal nett ist.
    »Wenig Händler heut nacht.«
    »Er hat Suppe gekriegt.«
    »Wenn ich fliegender Händler wäre, würde ich geflogen kommen. Und Frau und Kinder gleich mitbringen.«
    »Er hat heiße Suppe gekriegt, aus der Thermoskanne. Dem geht's gut.«
    Aber Chuckie sagt: »Ich glaube, mir geht's gar nicht so gut.«
    »Bleib einfach wach. Ich möchte gern, daß du jetzt wach bist.«
    Manx begreift, daß das mehr ihm als dem Jungen zuliebe gesagt ist. Der Mann und der Junge spielen bloß die Schritte durch. Der Junge nicht mal das. Der hat's irgendwann in der Wickelphase aufgegeben, dem Mann zuzuhören.
    Chuckie rutscht in den Schlafsack mit dem aufsässigen Blick, den Kinder kriegen, sobald ihnen klar wird, daß sie kein Privatbesitz sind.
    »Ich möchte, daß du dich an alles erinnerst, was hier heute nacht passiert«, sagt Charlie.
    Aber der Junge ist schon untergetaucht, selbst der Kopf ist im Flanell verschwunden.
    »Sie sind ein Vater, Sie wissen Bescheid«, sagt Charlie. »Ich hab's erfunden.«
    »Was für eine gefahrvolle Angelegenheit, ein Kind zu erziehen, in jeder Hinsicht.«
    »Einerseits braucht's ewig, bis sie groß sind. Aber andererseits geht es so schnell.«
    »Ich hab nur das eine.«
    »Sie sehen vier vor sich.«
    »Vier«, sagt Charlie, und in seinem Blick liegen Bewunderung, Mitgefühl und einiges Erstaunen, und dann noch etwas, das Manx nicht recht erkennen kann – vielleicht nur ein Empfinden für die Lebensunterschiede, was so direkt gar nichts mit der Zahl der Kinder zu tun hat.
    In einer Öltonne hat jemand Feuer gemacht, und Manx geht zum Bordstein, packt die rostige Tonne und zerrt sie zu der Warteschlange der Fans herüber, mit Feuer und allem. Er spürt, wie das Metall ihm die Hand verbrennt, nachträglich, es brennt wie die Hölle aus dem Bilderbuch, aber die Fans sind beeindruckt von der Geste, allerorten breites Grinsen, so was setzt in einer Nacht wie dieser das

Weitere Kostenlose Bücher