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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Straße gesehen. Das ist größer als mancher Krieg, den ich mitgekriegt hab.«
    Manx hat keine Ahnung, was er damit meint. Da fängt der Ire an zu reden. Er merkt, daß Charlie im Augenblick etwas durchhängt. Wahrscheinlich geht Charlie gerade vom Stadium des Halbglaubens zum Stadium des Unglaubens über. Und fühlt sich betuppt und spatzenhirnig. Hat ihm doch irgendein Strolch von der Straße sein ehrlich verdientes Geld abgeluchst, mit einem dermaßen atemberaubenden Märchen, daß Charlie sich geniert, es seinen Freunden zu erzählen.
    Muß eben der Käufer aufpassen, wie es so schön heißt.
    Er versucht auf das Wort zu kommen, das bedeutet, daß ein Gegenstand über die Jahre an Wert gewinnt. Aber der Ire redet nicht bloß, jetzt denkt er schon, und sowieso ist es im Augenblick wahrscheinlich nicht so gut, Charles irgendwas Aufmunterndes zu sagen. Würde doch bloß falsch klingen, oder?
    Sie schauen sich an. Charles hat den Baseball und den Flachmann, und Manx hat das Geld. Okay. Eine jener Gemengelagen, wo die Stimmung in den Keller geht, sobald das Geschäft abgeschlossen ist. Nur normal. Der Junge schläft jetzt, ein Stück Gesicht schaut aus der Kapuze hervor, und Manx fragt sich, ob er sich je an irgend etwas hiervon erinnern wird oder ob dieser Anblick schon in der Traumabteilung seines Hirns versunken ist, die verschwommenen Umrisse eines Mannes in der Hocke, der zu der Nacht gehört.
    Charles betrachtet Manx und lächelt, heikel, aber auch mit einem Hauch ersäufter Zuneigung.
    Dann schütteln sie einander wortlos die Hand, und Manx richtet sich auf und macht, daß er fortkommt, die Waden tun ein bißchen weh, und die linke Hand schmerzt heftig und geballt und ernsthaft, von der Feuertonne, die er über den Bürgersteig gezerrt hat. Bißchen Butter drauftun, wenn er zu Hause ist.
    Er geht an den gekrümmten und zusammengekauerten Körpern und den rauchenden Grills vorbei, wo einige sich was gebraten haben, und er geht an dem Polizisten auf dem großen Pferd vorbei und überquert wieder die Brücke Richtung Broadway, und tief am östlichen Himmel hängt vielleicht ein ganz schwacher Lichtstreifen.
    Da fällt ihm ein. Eine Menge Dinge fallen ihm ein, alle vom Alkohol vernebelt, aber ihm fällt ein, daß er nicht auf einem leeren Bahnsteig unter der Straße stehen und auf einen Zug warten will.
    Er geht den Broadway hinunter und fragt sich irgendwann, warum der Mann ihm sein Kleingeld gegeben hat. Es war überhaupt nicht nötig, daß Münzen von Hand zu Hand gingen. Vielleicht war es wirklich, was der Bursche sagte, das herzliche Gefühl, alles hergeben zu wollen, was er bei sich hatte, das Hemd vom Leib, oder vielleicht ist das ein ehrliches Geschäft zwischen zwei Männern, und einer davon macht ein Almosen daraus.
    Er geht, er will auch gehen, aber er will nicht zu Hause ankommen, nie wieder, nicht unbedingt. Er muß das in Ruhe durchdenken, daß er das Recht hat, in Geldangelegenheiten zu entscheiden, die jeglichen Besitz seiner Familie betreffen, deren Oberhaupt er immer noch ist, trotz allem.
    Wenn er pleite ist, fühlt er sich schuldig. Mit ein bißchen Bargeld fühlt er sich gleich noch schuldiger.
    Er pinkelt ungeniert in eine Seitenstraße.
    Außerdem fällt ihm ein, daß er einen Greyhound-Bus nehmen könnte, raus hier und auf dem dünnen Hund in die süße Ferne hinausreiten. Wie seine eigenen Söhne sich manchmal gegen ihn erheben, soviel Hader in ihren Augen.
    Er wird den Brief für Cotter schreiben. Um dessen Abwesenheit von der Schule zu entschuldigen. Daß er 39 Grad Fieber hatte.
    Kriegt der Junge gleich ein besseres Gefühl.
    Und ihm fällt ein, daß er sich der Ecke nähert, wo der Straßenprediger früher am Abend oder gestern abend gesprochen hat, und dann merkt er, nein, er ist durcheinander, er ist immer noch zehn Straßen nördlich davon. Dann vergißt er das wieder und schaut sich nach dem Mann um. Der Mann ist natürlich weg, wo immer er nachher hingeht, und das hier ist sowieso nicht seine Ecke, und nichts rührt sich außer einem Auto oder zwei, Autos mit geheimnisvollen Fahrern, die aus der Finsternis kommen, lebendig wie Insekten zu jeder Stunde der Nacht.
    Zweiunddreißig Dollar plus Kleingeld.
    Er spürt den vertrauten Stich des Verrats. Hat der ihm da was in den Kopf gesetzt. Reingelegt nach Strich und Faden. Der Baseball ist doch ganz zwangsläufig eine Wertsteigerung, das war das Wort. Und Bargeld jede Minute weniger wert.
    Er sucht in Türeingängen nach dem Prediger,

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