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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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weil er ihm das Geld geben will. Daß er's aus den Händen hat. Er will dem Alten das Geld in die Kleider schieben, nur damit er's los ist. Und einem geben, der ein wissenschaftliches Interesse an dem Zeug hat.
    Quasch mit Sose, Mann.
    Geld is seins, und das behält er auch. Irgendwo einen Bus nehmen. Oder ein Zimmer in irgend'ner abgewrackten Straße eine Meile von zu Hause. Und eine Frau auftreiben, die ihn ansieht, wenn ihre Augen durchs Zimmer gucken.
    Er vergißt schon wieder, wo er ist. Er geht, er will auch gehen, er schreibt im Kopf den Brief.
    Bitte entschuldigen Sie die Abwesenheit meines Sohnes von der Schule gestern.
    Er hört das Rumpeln und Knirschen eines Müllwagens irgendwo in der Ferne. Autos unterwegs, Züge fahren unter der Straße entlang, er ist die einzige Seele zu Fuß.
    Der alte Charles lacht sich ins Fäustchen, wie er den alten Manx reingelegt hat. Und erzählt seinem Jungen, wie wir den Trottel geprellt haben.
    Flach genug, um bequem in die Tasche zu passen, mit einem Deckel am Kettchen.
    Er kommt in seine Straße und geht am Schuster und an der Kosmetikschule vorbei.
    Seine Hand tut weh, wo sie ans heiße Metall gekommen ist.
    Es wird langsam hell, als er sein Haus erreicht. Er geht hinein und die Treppe hoch, für jede Stufe braucht er praktisch ein Jahr, so kommt es Manx vor, bis er achtzig geworden ist, als er in seinem Stockwerk steht. Er tritt ein, schattensanft, ein Schweigen mit Augen, und durchquert langsam die Küche. Im Schlafzimmer geht der Wecker los.
    Er setzt sich an den Küchentisch und wartet. Sie kommt in Nachthemd und Pantoffeln heraus, Ivie, die Frau, und sieht, daß er nicht im Bett war, und mustert ihn langsam.
    Sie sagt: »Was ist das?«
    »Muß 'n bißchen Butter drauftun.«
    »Alles voller Blasen. Gefällt mir nicht, wie das aussieht.«
    »Bloß 'ne leichte Verbrennung.«
    »Ist etwa Wahlabend? Ich dachte, am Wahlabend wären Freudenfeuer. Gefällt mir überhaupt nicht, wie das aussieht.«
    »Mach du mal, zieh dich an. Ich kümmer mich schon drum.«
    »Doch nicht mit Butter. Das ist Alte-Oma-Quark«, sagt sie. »Schadet mehr, als es nützt.«
    Sie nimmt das Obst aus der Obstschale und füllt sie mit kaltem Wasser und holt Eiswürfel aus dem Gefrierschrank.
    »Wenn das nicht hilft, kommst du ins Krankenhaus.«
    »Ich brauch nicht ins Krankenhaus.«
    Sie wirft zehn oder zwölf Eiswürfel ins Wasser und setzt sich neben ihn, hält seine Hand in die Schüssel mit Eiswasser und mustert ihn langsam. Ihre Fragen, falls sie welche hat, hebt sie sich für später auf.
    Vielleicht läßt der Schmerz etwas nach, vielleicht auch nicht. Das Wasser ist so kalt, daß er nur die Kälte spürt. Er versucht, seine Hand aus der Schüssel zu nehmen, aber Ivie hält sie dort, ihre Hand drückt fest auf seine, und Manx schaut weg, zu müde, deswegen zu kämpfen.
    »Das hilft nur, wenn die Verbrennung frisch ist«, sagt sie. »Wenn die Verbrennung nicht mehr frisch ist, müssen wir schauen, was sie im Krankenhaus für dich tun können.«
    »Ich sag doch. Ich brauch nicht ins Krankenhaus.«
    So sitzen sie eine Weile da, ihre Hand drückt seine in das schmelzende Eis, und dann muß sie sich anziehen und zur Arbeit gehen. Manx bleibt am Tisch sitzen, starrt seine Hand im Wasser an und wartet darauf, daß sein Sohn aufwacht.

[Menü]
1
    F ür Bronzini war Gehen eine Kunst. Fast jeden Tag nach der Schule ging er nach draußen, ließ das Gemisch von Lauten und Formen und Bewegungen, das auf dem Weg entstand, auf sich wirken, ließ die Stimmen ausklingen und die Düfte sich entfalten, jeden Tag anders, aber nicht zu sehr. Er blieb stehen, um sich mit Kartenspielern in einem Nachbarschaftstreff zu unterhalten, und beobachtete auf dem Markt eine Frau beim Kauf einer Flunder. Er pellte eine Mandarine und fragte sich, wie ein Plattfisch, der glasig auf zerstoßenem Eis lag, ein Geschöpf, das mit einem Netz aus dem dunklen Meer gerissen wurde, ihm so redegewandt vorkommen konnte. Das Totsein war eine Kraft in diesen vorquellenden Augen. Was für eine eindringliche Leere. Er dachte an den alten, zweiteiligen Komödientrick des vermeintlichen Mißverständnisses, der humorvoll den vergangenen Augenblick darstellt, in dem aus Leben Tod wird.
    Er beobachtete einen Jungen mit Schürze, der den Fisch in eine riesige Schlagzeile einwickelte.
    Selbst in diesem dichtgedrängten Viertel gab es Straßen wiederzuentdecken und Männer, die interessante Arbeit taten, Tagelöhner, Anstreicher in vollgeklecksten

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