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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Overalls oder Männer mit Vorschlaghämmern, zu denen er sich einen Moment stellen konnte, Sizilianer, die den Bürgersteig aufrissen, die Gesichter vom Steinstaub gefärbt. Je schlechter ein Job bezahlt war, fand Bronzini, je härter die Arbeit, desto beeindruckender der Anblick. Oder der Kellner, der während seiner kurzen Pause fix eine rauchte, einer dieser schnell alternden Männer, die ständig müde sind. Die Kellner hatten ein müdes Leben, drei Jobs, Rückenschmerzen und schlimme Füße. Sie waren müder als die Männer mit den roten Halstüchern, die den schweren Hammer schwangen. Sie rauchten und husteten und erzählten ihm, wie müde sie waren, und hielten auf dem Bürgersteig Ausschau nach einer Stelle, wohin sie den Schleim zielen konnten, den sie immer ausspuckten.
    Er aß den letzten Schnitz Mandarine und verließ den Markt, den Schalenringel in der Hand. Langsam ging er nordwärts und spähte in die Schaufenster. In seinem Bürstenschnurrbart gab es silberne Tüpfel, noch so wenig, daß man sie zählen konnte, und er trug eine randlose Brille mit Drahtbügeln, weil er sich mit achtunddreißig, so sagte jedenfalls seine Frau, weismachen wollte, er wäre älter, entschiedener in dem, was ihm Erfüllung brachte, hätte all die unersprießlichen Dinge endgültig gelocht und abgeheftet.
    Er hörte Stimmen und schaute in eine Seitenstraße, die voll spielender Kinder war. Ein behelfsmäßiges Verkehrsschild wies die Zone als Spielstraße aus und versperrte Autos und Lieferwagen die Durchfahrt. Bei all den Autos, noch mehr Autos, der Statusgier, den wilden Pferdestärken und dem Silberblitz des Chroms sah Bronzini schon voraus, daß auch diese geschützten Zonen aussterben würden, zu groß war der Druck, die Straßen kinderfrei zu bekommen.
    Er stellte sich ein Fragment des kreidebemalten Bürgersteigs vor, sauber abgeschnitten, herausgehoben und aufwendig verpackt – in irgendein kalifornisches Museum geliefert, wo es das gedämpfte Sonnenlicht mit antiken Marmorskulpturen teilen würde. Straßenzeichnung, Himmel und Hölle, Kreide auf Straßenpflaster, Bronx 1951. Aber es heißt gar nicht Himmel und Hölle, oder? Die nennen es hier Patsy oder Potsy. Und einfach Bockspringen, nicht Johnny-on-the-Pony. Und Verstecken – du zählst bis hundert in Fünferschritten, dann rennst du los in die Durchgänge, kletterst an Wäschepfosten hoch und über Drahtzäune, steckst den Kopf in Kohlenverschläge, um die versteckten Mitspieler zu finden.
    Bronzini stand da und schaute zu.
    Mädchen beim Knöchelspiel und beim doppelten Seilhüpfen, Jungen bei Boxball, Murmelspiel und Ringolievio. Fünf Jungs, jeder mit einem Fuß in einem aufgeteilten Kreis, mit Ländernamen in den Winkeln. China, Rußland, Afrika, Frankreich und Mexiko. Ein Kind ist dran, Du bist's, es steht mit einem Ball im Mittelpunkt des Kreises und singt langsam die warnenden Worte: Ich er-klä-re den Krieg ...
    Bronzini besaß kein Auto, fuhr kein Auto, wollte keins, brauchte keins, würde keins annehmen, nicht mal geschenkt. Wenn du aufhörst zu gehen, dachte er, stirbst du.
    George der Kellner stand rauchend neben dem Lieferanteneingang des Restaurants, wo er arbeitete. Er war ein Kopf auf einem Stecken, ein Mann, noch nicht vierzig, der etwas Muffiges, Unspontanes hatte, eine innere Spannung, die ihn abkapselte. Auf dem dürren Körper ein weißes Hemd mit schwarzer Weste und schwarze Hosen, und über der Uniform seine stechenden Züge, die etwas blutleer wirkten.
    Bronzini ging hin und stellte sich neben George, und sie standen ziemlich lange ohne ein Wort da, in der seltsamen Solidarität, wie sie zwei Fremde empfinden mochten, vor deren Augen gerade ein Haus abbrennt.
    Drei Jungen und ein Mädchen spielten Down-the-River gegen eine Häuserwand, jedes Kind in einem Feld, das von den Fugen im Bürgersteig eingegrenzt wurde. Man ließ den Ball schräg auf den Boden titschen, damit er gegen die Wand und in das Feld eines anderen Spielers flog.
    Er war George der Kellner, und sein Leben bestand daraus, anderen Leuten aufzuwarten. Doch auch in einem anderen Sinn bestimmte ihn das Warten, schien er in unheilvoller Erwartung zu verharren. Worauf wartet George? Bronzini konnte nicht anders, er sah darin eine Herausforderung. Er holte gern Kommentare aus dem maulfaulen Mann heraus, lockte ihn aus der Reserve und machte ihm klar, daß sein Wunsch, ohne Freunde zu bleiben, hier nicht so ohne weiteres respektiert wurde.
    Dann schlug der zweite Spieler den

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