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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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begeistert.
    »Er fängt an, in Systemen zu denken«, sagte Albert zu ihr. »Ich glaube, das ist ein Zeichen, daß es wieder positive Entwicklungen gibt.«
    Die Erwachsenen tranken eine Tasse Tee, und Matt blieb am Brett sitzen, eine kleine, schwebende Gottheit über den Bauern und Türmen. Der Junge hatte in letzter Zeit noch einige Niederlagen einstecken müssen, darunter eine Schlappe im Schachclub von Manhattan, und das war in jeder Hinsicht enttäuschend, weil Pater Paulus gekommen war.
    Kam, sah, sagte wenig und ging.
    Nach einer Weile ging Albert zur Arthur Avenue rüber, wo er dem Maroni-Mann begegnete, der seinen Ofen auf Rädern schob, eine Comicstrip-Erfindung, bei der Rauch aus dem gebogenen Metallschornstein quoll. An einem Ende des Ofens baumelte ein Obstkorb, für die ungerösteten Kastanien und die Süßkartoffeln.
    Er kaufte eine Portion Maroni, die er im Einwickelpapier mehr oder weniger herumjonglierte, weil sie verdammt heiß waren, und er nahm sie mit in die Seitenstraße zum Barbierladen.
    George der Barbier führte ihn ins Hinterzimmer, wo sie an einem kleinen Tisch saßen, Maroni aßen und sie mit kleinen, kratzenden Schlucken Old Mr Boston hinunterspülten, einem Roggenwhiskey, der dem Bostoner Adel allerdings unbekannt war.
    Albert wußte, daß George irgendwo in einem kleinen Haus eine Frau hatte und eine verheiratete Tochter irgendwo anders, aber man konnte sich den Mann nicht außerhalb seiner Barbierschaft vorstellen. Stämmig, kahlköpfig, nicht mit übermäßiger persönlicher Ausstrahlung gesegnet, gehörte er voll und ganz zu den massiven Porzellanstühlen, zwei an der Zahl, zu dem Dampfgerät für heiße Handtücher, der Decke aus gestanztem Blech, der Marmorablage unter dem Spiegel, den Wandschränkchen aus getöntem Glas, dem Rasiermesser mit dem Elfenbeingriff und dem Lederriemen, den Hornkämmen, den Scheren und Haarschneidern, der Schale, dem Pinsel, der Rasierseife, dem Duft von Hamamelis und Brillantine und Talkum.
    George der Barbier wußte, wer er war.
    »Biaggio hat einen Treffer gelandet«, sagte er.
    »Wer, Biaggio?«
    »Er hat einen Treffer gelandet. Sechshundert zu eins.«
    »Biaggio vom Fischmarkt?«
    »Er hat einen Treffer gelandet«, sagte George.
    Als die Maroni aufgegessen waren, füllte er ihre Gläser erneut, und sie saßen da, tranken vor sich hin und dachten darüber nach, wie es ist, einen Treffer zu landen.
    »Und wie geht's der Frau?« sagte er zu Albert.
    »Der Frau.«
    »Ja, was macht die Ehe?« sagte er.
    Das Radio war auf den italienischen Sender eingestellt, und ein Sprecher verabschiedete sich mit wiederholten Schreien und Bacia tutti, wogegen Albert absolut nichts hatte, im stärkenden Kielwasser des Whiskeys.
    »Das ist ein großes Thema.«
    »Na sicher. Was sonst?«
    »Groß, groß, groß, groß.«
    »Zu viel, zu viel«, sagte der Barbier.
    »Ich kann nur eins sagen.«
    »Es gibt nur eins zu sagen.«
    »Jede Ehe, jede Ehe. Nicht nur meine oder deine.«
    »Ganz genau.«
    »Wie soll ich es sagen, George? Unpo' complicato.«
    »Na sicher. Was soll man sonst sagen?«
    »Sonst noch was Neues?«
    »Sonst noch was Neues?« sagte der Barbier.
    Albert leckte sich die Kastanienkrümel von den Fingern. Eine Frau und ein Kind kamen herein, und George ging in den vorderen Teil des Geschäfts, und Albert leerte sein Glas und folgte ihm, denn er wollte die Gastfreundschaft des Mannes nicht strapazieren.
    Er sprach mit der Frau, während George den Kindersitz für den Jungen fertigmachte. Dann nahm er Hut und Mantel und ging. Er blieb kurz im Mussolini-Park stehen und unterhielt sich ein paar Minuten mit den alten Männern. Der falsche Priester kam vorbei, Benedetti, in einem Lumberjack und einem schwarzen Barett, ein Brevier in der Hand. Er bewegte die Lippen, als betete er, preßte aber das Buch ungeöffnet an die Brust.
    Albert mußte sich hinsetzen. Er merkte, er war ein bißchen beschwipst, umbriago, so hieß doch der Bürgermeister von New York oder Chicago, und er setzte sich auf eine Bank und wartete, daß das Gefühl vorüberging.
    Die anderen Männer trollten sich. Die Sonne verschwand hinter der ausladenden Masse des Krankenhauses für unheilbare Fälle, und es war jetzt kälter, die Luft voller Windstöße, und die Männer trollten sich in einen Nachbarschaftstreff oder zu einem Kiosk oder nach Hause.
    Ein Abschlepplaster raste mit Wahnsinnsgeschwindigkeit vorbei, um das Autowrack vor der Konkurrenz zu erwischen.
    Albert saß auf der Bank und wartete,

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