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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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nicht das Auto oder die Freundin – etwas in seinem Kopf, das selbst im Schlaf nicht lockerließ.
    Er lief eine halbe Stunde, dann stand er am Teich der Wildgänse. Als er noch zur Grundschule ging, war er mal mit einem Jungen namens Martin Mannion im Zoo gewesen, und Martin Mannion war über einen Zaun geklettert, an einem Tag wie diesem, wintrig und leer, und Martin Mannion kletterte in das Büffelgehege und wedelte dem Büffel, dem Bison, mit seiner Jacke vor der Nase herum, und das große, wollige Tier, wie von einem Fünfcent-Stück herabgestiegen, glotzte ihn bloß gleichgültig an, und Martin Mannion regte sich so auf, daß er seinen Pimmel rausholte und pinkelte.
    Es wurde jetzt langsam dunkel. Er stand am Rand des Weihers und steckte sich, den Rücken zum Wind, eine neue Zigarette an.
    »Nenn mich Alan, sagt er.«
    »Nenn mich Alan.«
    »Ich sag, Was heißt hier Alan? Und er, so heiße ich.«
    »So heiße ich.«
    »Ich guck ihn an und sage, Wieso heißt du so? Du hast doch schon einen Namen.«
    »Was ist mit Alfonse passiert?«
    »Ich sag, Was ist mit Alfonse passiert? Sechzehn Jahre lang warst du Alfonse. Dein Großvater war Alfonse.«
    »Alle beide.«
    »Alle beide Großväter Alfonse. Was ist passiert? Er sagt, Ich bin nicht die.«
    »Lausiges kleines Schielauge.«
    »Ich bin nicht die, sagt er.«
    »Der ist ein Oberscheißer, das ist er.«
    »Nenn mich Alan, sagt er.«
    »Ich bin nicht die.«
    »Ich könnt ihm den Hals umdrehen.«
    »Ich bin nicht die.«
    »Ich sag, Wer bist du schon?«
    »Oberscheißer, das ist er.«
    »Ich sag, Wer bist du schon, du stunat’, wenn du nicht die bist?«
    Giulio Belisario JuJu, hatte noch nie eine Leiche gesehen, nicht mal bei einer Totenwache, und die Erfahrung interessierte ihn.
    »Wer stirbt denn«, sagte Nicky, »nur damit du deine Neugier befriedigen kannst?«
    »Meine Großmutter hab ich verpaßt, weil ich Masern hatte.«
    »Ich schau mich um. Ich seh keine Freiwilligen. Schon von Allies Vater gehört?«
    »Was?«
    »Du weißt das nicht?«
    »Was? Ist er gestorben?«
    »Er hat einen Treffer gelandet.«
    »Wollt grad schon sagen.«
    »Er kauft sich einen Buick. Heute ein Fischhändler. Und morgen.«
    »Wollt grad schon sagen. Hab ihn doch gestern noch auf dem Markt gesehen. Wieso soll der tot sein?«
    »Wie lang dauert es denn?« sagte Nicky. »Ich mein ja bloß.«
    »Heute verkauft er Tintenfisch. Morgen, hey, ihr könnt mich alle mal.«
    »Wer ist besser als er?« sagte JuJu.
    »Ich fahr einen Fettarsch-Buick. Los, zurücktreten, ihr Bauern.«
    Sie waren im Lebensmittelgeschäft, einem Laden unten in Nickys Haus, Nummer 611. Die Frau des Lebensmittelhändlers, Donatos Frau, das war der einzige Name, unter dem man sie kannte, duldete sie dort, denn sie mochte Nickys Mutter. Draußen hatten sich fünf ältere Jungen versammelt, und einer von ihnen, Scarfo, übte Weitsprung, angefeuert von den anderen vier. Scarfo wollte den Eignungstest bei der Müllabfuhr ablegen, und sie hatten ihm eingeredet, er müsse dafür aus dem Stand zwei Meter weit springen, und nun war er da, in seinem guten Mantel und den Hosen mit Bügelfalte, und sprang über die Bürgersteigfugen, um zu sehen, ob er es schaffte.
    Die beiden jungen Männer standen im Laden, rauchten und schauten zu.
    »Ich hab deinen Vater gesehen«, sagte Nicky.
    »Er holt jetzt hier im Viertel den Müll ab, vorübergehend.«
    »Hat er schon mal was im Müll gefunden?«
    »Was soll er da finden? Was er mit nach Hause gebracht hätte? Vergiß es.«
    »Er könnte ja was Wertvolles finden.«
    »Meine Mutter würde einen Schreikrampf kriegen. Vergiß es.«
    Donatos Frau gab jedem von ihnen eine Scheibe Salami, und sie schauten zu, wie Scarfo seinen Sprung trainierte.
    Matty kaute an der Manschette seines Hemdes, eine schmächtige Frühgeburt mit lebhaften Augen, und er schaute über das Brett hinweg auf Mr Bronzini, der schief lächelte.
    »Du hast mich fertiggemacht«, sagte Albert.
    »Ich hab alles gesehen.«
    »Er kam, sah und so weiter. Und er hat mich fertiggemacht.«
    Er wußte, daß Matty nichts lieber hörte. Er tat nichts lieber, als im Schach zu gewinnen und zu hören, wie der Verlierer sich für tot erklärte. Denn das war er, kaputt, und Matty war derjenige, der ihn plattgemacht hatte.
    Die Mutter des Jungen stand in der Tür und sah zu.
    »Wieviel Züge hast du gebraucht? Nein, sag's mir nicht«, sagte Albert. »Ein bißchen Selbstachtung will ich noch behalten.«
    Matty und seine Mutter waren

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