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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Klara, um sie anzuschauen, eine unvollständige Bewegung, die sie an den Rand der Erschöpfung brachte, aber Erschöpfung war ohnehin alles, was übrigblieb, obwohl das auch nicht ganz stimmte. Ihre Gebärden waren immer noch kraftvoll. Stockend, aber stark. Sie zeigten eine eigenwillige Frau, imstande, ganze Völkerscharen mit einem Singsang-Wedeln der Hand abzutun.
    Die Bewegungen waren nicht an den Alltag gerichtet. Sie hatten eine Reichweite, die sich auf eine andere Ebene bezog. Die Hand, die unter dem Kinn herwischt. Der vorgeschobene Mund. Wie die Augen sich schließen und der Kopf nach hinten kippt.
    An Albert. Wenn es Zeit ist zu sterben, werde ich sterben.
    An die Freunde, die bei ihr saßen. Gott weiß nicht alles. Nur das, was er zu wissen hat.
    An Albert. Warum willst du über deinen Vater sprechen, wenn ich mit seinem Namen nur versäumte Gelegenheiten verbinde?
    An Albert. Sei vorsichtig. Mehr sag ich doch gar nicht.
    An Klara. Geh und lebe dein Leben. Ich bin deine Zeit oder Aufmerksamkeit nicht wert.
    Diese letzte Bewegung von Hand und Auge ist unaufrichtig, das wissen beide Frauen.
    Klara erzählte Albert nicht, daß sie es manchmal seltsam tröstlich fand, bei seiner Mutter zu sitzen, die im Sterben lag. Die beiden hatten zusammen noch ein Elternteil übrig, und Klara spielte Perry-Como-Platten für die Frau. Sie brachte das Kind herein, damit die Großmutter seine Hände und sein Gesicht berühren konnte. Die Frau sah nicht gut, oder sie sah zwei Dinge, wo nur eins war, und ihre Hand auf dem Gesicht des Kindes schien wahre Wunder der Rückschau zu bewirken.
    Ihre Haut wurde brauner, ihr Haar weißer, die Hände fleckig und pustelig, aber sie hatte immer noch etwas Kraftvolles an sich, etwas, das Albert zu fürchten schien, ein Urteil, irgendeine erlahmende Verurteilung.
    Sie machte manchmal eine Bewegung, die einen Zustand der Hoffnungslosigkeit auszudrücken schien, zu tief für Worte.
    Klara saß da und sprach ein bißchen mit ihr. Sie hielt das Fenster etwas geöffnet, damit die Modrigkeit abziehen konnte, der langsame Verfall. Sie hörte ein Stück entfernt Feuerwehrautos und sah zu, wie es dunkel wurde.
    Manchmal kam Alberts Schwester zu Besuch, Laura, unfähig, den bevorstehenden Tod hinzunehmen, verängstigt, abhängig, verraten, und Klara konnte sich vorstellen, daß sie versuchen würde, ins Grab zu klettern, wenn es soweit war.
    Wie eigenartig, hier zu sitzen und Perry Como zu hören, in Gesellschaft einer Frau, die sie nicht kannte, die im Sterben lag, hier zusammen mit all den anderen Dingen, diesem Stuhl, dieser Lampe, diesem Haus und dieser Straße, und sich zu fragen, wie das nur passiert war.
    Als Albert nach Hause kam, war sie in der Küche.
    »Wie geht es ihr?«
    »Schläft.«
    »Hat sie was gegessen?«
    »Ich habe etwas Suppe gekocht.«
    »Hat sie sie gegessen?«
    »Bißchen gegessen, bißchen verschüttet. Deine Tochter hat sich bei der Babysitterin einen Schnupfen geholt.«
    »Ich sorge dafür, daß er weggeht.«
    Sie hörte, wie er Teresa etwas erzählte, Nonsensgeschichten, die er als kleiner Junge erzählt bekommen hatte, Figuren mit lustigen, reimenden Namen, und der Wirkung halber sprach er bestimmte Wörter übertrieben aus, mit sonorer, melodischer Stimme, aber sie schloß die Küchentür, weil sie es nicht mehr hören wollte.
    Die Erzählstimme, die Spielstimme war ihr allzu alberthaft, wie sie sich kräuselte vor lauter Begleitmusik und schrulliger Handlung. Sie stellte das Abendessen auf den Tisch und sagte seinen Namen.
    Sie unterhielten sich beim Essen, belanglos. Sie rauchte ihre letzte Zigarette des Tages im Gästezimmer und schaute die Wand an. Sie machte die Zigarette aus, indem sie sie in den Badezimmerspiegel drückte, und dann spülte sie sie weg und ging schlafen.
    Der erste rannte auf den Spielplatz, der mit der dunklen Mütze. Nick boxte auf den anderen ein, beide schlitterten auf der vereisten Fläche.
    Er hatte den Kerl noch nie gesehen, und deshalb boxte er auf ihn ein. Er boxte den Kerl in die Knie, oder der Kerl ging beim Schlittern in die Knie, und dann schaute Nick auf den Spielplatz. JuJu jagte den ersten, rutschte aber aus und fiel hin, ein Bein in der Luft.
    JuJu saß einen Augenblick da und schaute dem Ked nach, der auf die Treppen zum unteren Teil zurannte. Der Spielplatz war weiß und still, die Schaukeln hingen leer da, drei Zentimeter Schnee auf den Sitzflächen.
    Der andere lag auf den Knien, was ihm offenkundig peinlich war. Nick hockte

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