Unterwelt
ihre Brüste, die unter dem blauen Pullover zwei Wölbungen verursachten.
»Was ist das denn? Weg damit. Ich will das nicht mehr sehen, wenn du nächstes Mal hier hereinkommst.«
Die Jungen und Mädchen rutschten tiefer auf ihren Stühlen, etwas aufgeregt, daß Annette Esposito als Mißgeburt bloßgestellt wurde. Ihre Augen wurden rastlos und hell. Sie bissen sich in die Knöchel und gaben kleine, dumpfe, kehlige Laute von sich. Als Annette Esposito zur Tür hinausging, nicht ohne Stolz, mit leichter Drehung und zurückgeworfenen Schultern, kullerte jedes anwesende Augenpaar in ihre Richtung, natürlich auf ihre Brüste geheftet, die für die sechste Klasse nicht gerade ein gängiges Objekt der Betrachtung darstellten.
Die Schwester setzte den Drill nicht an. Statt dessen kam Schönschreiben dran, und sie demonstrierte an der Tafel die Schreibtalente ihrer eigenen Hand. Sie zeigte die Schräge, den Kringel, sie betonte die Notwendigkeit, zwischen den Zeilenlinien zu bleiben, sie befahl ihnen, ihre Füller zu nehmen und den Bewegungen, die sie vormachte, in der Luft zu folgen, und sie taten es, unter Einsatz der Handgelenke, synchrones Kringeln, und sie formten ein stürmisches großes T, das einem Ruderboot im Sturm ähnelte.
Matty saß wie gebannt da, schrieb mit dem alten Parker-Vacumatic seines Bruders in die Luft, einem grüngestreiften Modell mit einem pfeilförmigen Klipp, aber seine Stimmung stürzte ab, als es zur Mittagspause klingelte und die Schwester einen Zeigefinger in seine Richtung krümmte. »Matthew Shay.«
Sein eigener Name verblüffte ihn, aus ihrem Munde.
»Komm zu mir, bevor du den Raum verläßt.«
Mit seinen beiden Gefährten schob er wie angeordnet die Garderobentüren auf und holte seinen Mantel, wartete, bis der Raum sich geleert hatte, und meldete sich dann an Schwester Edgars Pult.
Sie hatte verkniffene blaue Augen und dünne Lippen und eine Nase, die oben an der Wurzel etwas knollig wurde.
»Gestern auf dem Schulhof. Da war ein Gedränge, du und ein paar andere. Ihr habt euch eine Zeitschrift angeschaut.«
Das Entsetzen, mit Schwester Edgar allein zu sein.
»Ich wüßte gern. Erstens. Den Namen der Zeitschrift.«
Sie stützte sich auf eine Ecke des Pults, ein bißchen an ihren Perlen drehend, und das große Kruzifix mit dem abstehenden Körper Christi baumelte und taumelte auf ihrer Brust.
»Zweitens. Eine Zusammenfassung des Inhalts.«
Die Antworten gingen ihm durch den Kopf.
Kinoland-Magazin.
Ganzseitige Porträtfotos von Rita Hayworth und Lana Turner. Außerdem: Wie Mario Lanza das Herz stehenblieb. Es gab Artikel über Stars, von denen er nie gehört hatte. Es gab Anzeigen für französische Nachthemden und Tanzhöschen.
Und was, wenn sie ihn dazu befragte?
Schwester Edgar lauerte ganz nah, wartend. Er hielt die Hände hinter dem Rücken, um seine abgekauten Fingernägel und die Fetzchen toter Haut an den Rändern zu verbergen.
Würde er erklären müssen, daß bei einem Tanzhöschen ein foxtrottendes Paar auf das Bein einer Damenunterhose gestickt wird?
Und was, wenn die Zeitschrift von der Liga für Anstand und Moral verboten worden war und sie ihn fragte, wem seine das war? Obwohl sie niemals Dativ und Genitiv verwechseln würde.
»Matthew. Ja?«
Wenn er die Wahl hätte, entweder Schwester Edgar anzulügen oder einen Klassenkameraden zu verpetzen, dann würde er petzen, augenblicklich und skrupellos. Und was war mit den Werbeanzeigen auf den letzten Seiten der Zeitschrift, für Büstencremes und bessere Büstenkonturen?
Matthew-Ja war keine Frage. Es war eine dringliche Aufforderung zur Wahrheit. Und er nannte ihr den Namen der Zeitschrift und wer auf der Titelseite war und was drinstand, hielt sich dabei an die Romanzen und Herzschmerzgeschichten über die Stars, und Schwester Edgar wirkte interessiert und angetan.
Er war überrascht und ermutigt und immer weniger zögerlich, beschrieb die Hollywoodresidenzen bestimmter Stars, und die Schwester stellte einige Suggestivfragen, versuchte ihr Interesse zu verbergen, indem sie aus dem Fenster schaute, und er gewann Vertrauen und wurde ausschweifend, sprach schnell und fast zügellos, erfand Details, wenn er eine Geschichte oder ein Foto nicht mehr ganz in Erinnerung hatte, verspürte ein Gefühl verzweifelter Freudigkeit, und die Schwester schluckte es alles.
Sie wußte eine Menge über die Stars. Ihre größten Vorlieben und schlimmsten Insektenstiche und ihre Mauerblümchenabende an der High School. Ihre
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