Unterwelt
heute? Gehe ich heute zur Messe oder morgen? Ich fuhr sie in die Kirche und holte sie wieder ab. Das war für mich die regelmäßigste Befriedigung der Woche. Ich prägte mir die Zeiten für die Messe ein, die verschiedenen Arten, die Länge des Gottesdienstes, und ich achtete darauf, daß sie Geld für den Klingelbeutel hatte. Wir saßen in dem Zimmer und redeten. Sie wirkte frei von jeder Sentimentalität. Jederzeit konnte sie einen Moment heraufbeschwören, der mich mit gewaltiger Wucht traf, irgend etwas ganz Gewöhnliches, aber Machtvolles – gewöhnlich nur, wenn man es nicht erlebt hatte, wenn man nicht dabei gewesen war –, und ich beobachtete, wie still sie dasaß, wie vorsichtig sie beim Erinnern vorging.
Ich erklärte meinen Kindern immer alles, als sie noch klein waren. Eine Trosse ist ein Tau, mit dem ein Schiff festgemacht wird. Oder: Der Buckel am Boden zwischen zwei Zimmern, sagte ich etwa. Der wird Schwelle genannt.
Wir stellten ihr die Frisierkommode und die Klimaanlage hin, und sie bekam eine harte Matratze, die gut für ihren Rücken war. Sie nannte Namen aus dem Passionsbuch der Familie, dem Buch der besonderen Leiden, und wir schwiegen und dachten nach. An einzelnen Stellen war ihr Haar noch braun, ansonsten drahtig und changierend, goldblitzend in hellem Licht, voller Haarklemmen, und wir saßen da, während der Fernseher lief. Ich wußte, sie würde nicht zuviel sagen oder sich flüchtig erinnern. Hier hatte sie das Heft in der Hand und führte uns sicher durch die Pausen.
Nach den Rassenunruhen in Los Angeles trug mein Sohn ausgebeulte Shorts und eine Schirmmütze falsch rum und Turnschuhe mit Riesenlasche. Davor war er immer graumäusig gewesen, hatte in seinem Zimmer vor dem Computer gehockt, ein ruhiger Junge, gerade zwanzig, der immer dieselben Sachen anhatte. Für ein Vorstellungsgespräch zog er sich an, als ginge er mit dem Hund Gassi – für ihn war immer alles ein- und dasselbe.
Wir entwarfen und betreuten Landaufschüttungen. Wir waren Müllmakler. Wir organisierten Giftmülltransporte über die Weltmeere. Wir waren die Kirchenväter des Mülls in all seinen Wandlungen. Bei unserem Gespräch in der Wüste hätte ich Klara Sax gegenüber beinahe die Art meiner Arbeit erwähnt. Ihre eigene Laufbahn war zuweilen von ihren Methoden, Schrott zu verändern und einzubeziehen, geprägt worden. Aber irgend etwas machte mich vorsichtig. Sie sollte nicht denken, daß ich eine Ähnlichkeit zwischen unseren Bemühungen und Blickwinkeln andeuten wollte.
Berühmte Leute lassen sich ungern erzählen, man hätte etwas mit ihnen gemeinsam. Dann haben sie so ein Gefühl, als krabbelte was in ihren Kleidern.
Mein Vater hieß James Costanza, Jimmy Costanza – wenn man die Buchstaben addiert, kommt man auf dreizehn.
Zu Hause nahmen wir das Wachspapier aus den Cornflakes-Packungen. Wir hatten einen Recycling-Schrank, abgeleitet vom lateinischen Wort für »Kreislauf«, in den der Müll wieder eingespeist wird, mit getrennten Eimern für Zeitungen, Dosen und Gläser. Wir spülten die gebrauchten Dosen und leeren Flaschen aus und legten sie in die entsprechenden Eimer. Wir trennten Blech von Aluminium. An den Mülltagen packten wir jede Art von Müll in das jeweilige Behältnis und stellten diese Behältnisse auf den Bürgersteig vor dem Haus. Wir benutzten eine Papiertüte für die Papiertüten. Wir nahmen eine große Papiertüte und steckten alle kleineren Tüten hinein und stellten dann die große Tüte neben all die anderen Behältnisse auf dem Bürgersteig. Wir rissen das Wachspapier von unseren Weizenflocken-Packungen. Es gibt keine Sprache, in der ich die Sorgfalt, mit der wir diese Pflichten erfüllten, übertrieben beschreiben könnte. Wir häckselten die Gartenabfälle. Wir bündelten die Zeitungen, knoteten sie aber nicht mit Bindfäden zusammen.
Manchmal nutzten wir die Pausen, um fernzusehen. Wir schauten uns Wiederholungen der »Honeymooners« an, und meine Mutter lachte, wenn Ralph Kramden mit den Armen ruderte und seine Klagearien herausblökte. Das war ungefähr die einzige Situation, in der ich ein Lachen von ihr erwarten konnte. Sie muß wohl eine reinigende Entspannung empfunden haben, wenn sie die trist möblierte Wohnung betrachtete, Gattin Alice in ihrer Schürze oder ihrem schäbigen Stoffmantel, Nachbar Norton mit verknülltem Filzhut auf dem zuckenden Kopf – lauter Dinge, die nah an dem waren, was sie kannte. Oberflächlich natürlich. Eher dem Anschein nach als in
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