Unterwelt
er es in sein Auto getan. Er steckte es ins Handschuhfach. Erst dann hat er es benutzt, glaube ich.«
Ein Mann sang leise mit, summte den Text, der aus der Anlage kam. Er tappte schwerfällig auf uns zu, schob einen Sauerstoffzylinder auf Rädern vor sich her, ein grauhaariger Kerl, und aus dem Tank führten die Schläuche hoch in seine Nase. Der Tank war so groß wie eine Zollkiste für Dackel. Und der Mann sang, er summte mit krächzender Stimme – die Phrasierung und der Rhythmus stimmten genau, die trägen Versenden, irgendeine dünnblütige Schnulze über einen Abschiedsbrief, die aber durch seine mürbe Stimme ein neues Eigenleben erhielt und einem tief unter die Haut ging.
Wir machten ihm Platz.
Hinter den Produkten und ihren Anwendungen erhaschten wir einen Blick auf die Industrie der lebendigen Beschreibung. Dermaseidig und astrogleitend und reservoirbestückt. Es gab Kondome, die als römische Münzen verpackt waren, Kondome in Streichholzbriefen. Brian las laut von den Etiketten vor. Man bekam natürliche Tierhaut und Kaugummiduft. Man bekam Kondome, die im Dunkeln leuchteten, und Vorspielkondome und Kondome mit Graffitiaufdruck, der sich mit der Erektion ausdehnte, ein Buchstabe, aus dem ein Wort und dann ein Satz wurde. Er zitierte eine Runde Churchill – Wir werden sie am Strand tragen. Man bekam Dauerlutscherkondome, man bekam Boxershorts mit Comicfiguren, die wie aufrecht stehende Kondome aussahen, irgendwie schwebend und nippel-köpfig, und die eine Sprache namens Spermisch sprachen.
Eine junge Frau stand bei der Tür, ein Ramses-Logo aufs Ohrläppchen tätowiert.
»Mein Kind hat auch so was«, sagte Brian. »Nur daß Pepsi draufsteht. Sollte ich dafür dankbar sein?«
»Welches Kind?«
»Welches Kind. Wo liegt der Unterschied?«
Brian war auf der Hut vor seiner Familie. Er nahm die aufgesetzte Haltung des Vaters ein, der sich gewohnheitsmäßig über die Gören beschwert, die nicht mit Geld umgehen können und nie aufpassen, so eine Nummer haben wir alle auf Lager, fast wie eine zweite Sprache, das leicht erlernte Vaterlamento, und Brian legte höhnische, äußerst lebhafte Soli hin, aber er brütete auch über etwas Tieferem, Traurigerem, einem Gefühl, in ihnen seine Feinde entdeckt zu haben, losgelassene Mächte im eigenen Haus, bereit, jegliches Selbstwertgefühl aus ihm herauszusaugen, eine Stieftochter, eine Tochter und ein Sohn, alle auf der High School, und eine Frau, die, wie er sagte, ein paar Bläschen daneben war.
»Das ist ja nicht das einzige, was sie auf ihrem Körper angebracht hat.«
»Welches Kind?« sagte ich. »Brittany.«
»Ich mag Brittany. Sei nett zu ihr.«
»Sei nett zu ihr. Hör dir das mal an, sie trägt eine Armbinde, du glaubst es nicht – sie hatten Apartheid-Simulationstag an der Schule.«
»Was ist das?«
»Wie der Name schon sagt. Sie versuchen, die Apartheid-Situation zu simulieren. Als Lektion für die Kinder. Alle haben Armbinden getragen. Gold, wenn man zur unterdrückten Klasse gehörte, und Rot, glaube ich, wenn man beim Militär war, und Grün für die Elite. Brittany meldete sich freiwillig für die unterdrückte Klasse, und jetzt will sie ihre Armbinde nicht mehr ablegen. Offiziell hat das Rollenspiel einen Tag lang gedauert, aber sie macht das jetzt schon seit Wochen. Kein anderer tut es, nur sie. Sie beschränkt ihren Zugang zum Speisesaal auf zehn Minuten am Tag. Sie benutzt nur bestimmte Busse zu bestimmten Tageszeiten. Sie sitzt in einer markierten Zone im Klassenzimmer.«
»Wie reagieren die anderen Kinder?«
»Sie wird angespuckt und geschnitten.«
Er deutete mit den Händen einen Fernsehbildschirm an, die Daumen horizontal, die Zeigefinger aufrecht, und schaute aus dem Rahmen hervor, schielend, mit heraushängender Zunge.
Wir drehten eine letzte Runde durch den Raum. Auf einem der Wandgemälde saßen ein Junge und ein Mädchen in einer Nische mit Eiskrembechern und beschlagenen Wassergläsern und langstieligen Löffeln für das Eis, und die Szene wollte gar nicht krampfhaft hübsch sein, sondern hatte eher die Tonlage einer Dokumentation, und eigentlich war der ganze Ort ein bißchen museal, fand ich, mit der komprimierten Zeit und der Ansammlung aus Objekten von evolutionärem Interesse. Eine Frau sang eine Ballade über ein Kirchlein im Mondschein, die mir irgendwie bekannt vorkam, und ich drehte mich um, ob der Mann mit dem Sauerstofftank immer noch mitsang.
Brian kaufte eine Schachtel Kondome, die er seinem Sohn David
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