Unterwelt
mitbringen wollte, von Mann zu Mann, ein Zeichen von Verbindung und Einverständnis. Wir gingen nach draußen und standen auf dem leeren Platz, und er machte die Schachtel auf und holte ein einzelnes, eingeschweißtes Präservativ heraus. Er schaute es an. Er hatte ein prustendes Lachen, das er sich für bestimmte Gelegenheiten aufhob, wie ein halb ertrunkener Mann, der sich über seine Rettung ärgert, und er schaute sich das Ding an und lachte.
»Früher wurde immer ›Verkehrsunfall‹ gesagt. Tripper war ein Wort mit einem sehr entschiedenen Klang. Tripper.«
»Syph.«
»All diese Wörter, eins schlimmer als das andere. Aber ich konnte an einem Kondom nichts Schützendes entdecken. Vielleicht weil einem dabei ein anderes Wort einfiel.«
»Schleimbeutel.«
»Und mit meinem kleinen zurückgebliebenen Zwölfjährigen-Hirn spürte ich vielleicht ein geheimes Leben in diesem Objekt, diesem Schleimbeutel, den mein Bruder im Portemonnaie hatte – wie konnte ein Ding, das Schleimbeutel heißt, für Sicherheit stehen?«
»Wir sind Müllmanager«, sagte ich zu ihm. »Schleimbeutel gehören zu den Dingen, mit denen wir zu tun haben.«
»Aber denk doch nur daran, wieviel Verachtung wir in dieses Wort legen. Es ist ein häßliches Wort. Voller Selbsthaß.«
»Kümmer dich nicht um die Wörter. Du hast einen Gummi für deinen Sohn gekauft, weil es wichtig ist, daß er welche benutzt. Ich hasse es, vernünftig zu sein. Ich weiß, wie undankbar es ist, dem primitiven Mißtrauen eines anderen mit Vernunft zu begegnen.«
»Du hast recht.«
»Die Leute müssen die Dinger benutzen.«
»Du hast recht«, sagte er. »Es ist undankbar.«
Er packte das Kondom aus und schüttelte es aus, bis das Ende mit dem Nippel leicht in der Brise schaukelte. Dann knüllte er es zusammen und hielt es sich an die Nase.
»Wonach riecht es?« sagte er. »Duschvorhang? Autositze oder Lampenschirmsaum? Nach diesen großen, eckigen Kleidersäcken, in denen man die Klamotten unterbringt, die man nie anzieht?«
Er atmete tief ein, versuchte, den Geruch einzusaugen und ganz festzuhalten, damit er seine Eigenart speichern konnte. Sein schmaler Kopf blähte sich, gockelrot. Er meinte, vielleicht sei es der Geruch der Luftbläschenverpackung von einem neuen Computer, wenn man ihn aus der Transportkiste holt. Oder der Geruch dieser Kiste selbst. Oder des Computers selbst. Oder der Plastikbeutelchen, die zu lange im Tiefkühler waren und Freon-Dämpfe aufgenommen haben. Er meinte, vielleicht sei es ein Krankenhausgeruch, ein Laborgeruch, der Ausstoß einer Chemiefabrik. Er konnte es nicht genau einordnen. Die Isolierstoffe in den Wänden. Der Filter in der Klimaanlage.
»Ich dachte, sie wären geruchsfrei. Moderne Kondome«, sagte ich. »Es sei denn, ein Aroma wird beigemengt.«
»Das ist die neue Sorte, geruchsfrei. Ich habe ihm aber eins aus altem, billigen Latex gekauft. Das schnürt ihm das Glied ab, vermindert die Empfindung und riecht schlecht. Er soll dafür bezahlen, daß er vernünftig ist.«
Marian saß in Jeffs Zimmer und schaute sich einen Film im Fernsehen an. Ich mußte mich an den Anblick eines anderen Menschen in seinem Zimmer gewöhnen. Sein Zimmer war seine Tierhöhle, sein Pelz und sein Geruch, und ich fand, sie beging eine Revierverletzung, wenn sie dort saß.
Sie trug abgewetzte Jeans und ein altes, vorn ausgeleiertes Trägerhemd, sie ist die Art Frau, die in ihre Schönheit hineinwächst, glaube ich, die mit der Zeit schön wird, und eines Tages sieht man es, ganz plötzlich und alles auf einmal – ein kleiner Skandal voller Überraschung und Tratsch.
»Seit wann rauchst du wieder?«
»Halt den Mund«, sagte sie.
Ich erzählte ihr von Kondomologie. Ich stand in der Tür und übertönte die Geräuschkulisse des Films. Sie war zarthäutig, eindringlich schon durch ihre Züge – leicht eckiges Gesicht, gerade Nase, dunkles Haar, der patente Typ, nahezu klassisch amerikanisch, ein irgendwie altmodisches Aussehen, nicht auffällig weit von der Reizlosigkeit entfernt, wie das Reliefgesicht auf der alten Seife, ich glaube, es war Camay, ich bin mir nicht ganz sicher, der Frauenkopf im Profil mit gewelltem Haar, obwohl Marian glattes Haar hatte.
»Wo ist Jeff?«
»Draußen. Ich gucke das gerade.«
Ich erzählte ihr vom Apartheid-Simulationstag, immer noch auf der Türschwelle.
Sie sagte: »Ich gucke das gerade.«
»Willst du was? Ich will was.«
»Mineralwasser war nett«, sagte sie.
Ich ging in die Küche und holte
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