Unterwelt
Teppichboden, und die Gänge waren breit, und an den Wänden hingen Bilder, fünf Hochformate an jeder der beiden langen Wände, auf denen Szenen aus einer Eisdiele der vierziger und fünfziger Jahre zu sehen waren. Ein Kellner hinter einer Marmortheke, der für ein paar Mädchen in Schulstrickjacken und Söckchen einen Erdbeermilkshake mixte – das war das eine Wandbild, mattlackiert, in einem für die Szene untypischen Stil gemalt, und der Effekt war interessant, ganz und gar unverträumt. Brian musterte meinen Unterkiefer, wie ich wohl reagierte. Weit weg hörte ich Musik, einen Schnulzier, der vergessene Oldies sang, so Balladen, in denen manchmal ein, zwei Verse in schlampigem Italienisch vorkommen, und all das war hübsch diskret, fand ich, unaufdringlich, ohne überheblichen Humor.
Brian wisperte mir scharf zu, als hätte ich es nicht bemerkt:
»Kondome.«
Und genau das war es, Kondome, der ganze Laden nur Kondome, Regale voll mit hundert verschiedenen Sorten von Safer-Sex-Artikeln für Männer und Frauen, Spermizide, Körperbutter, Latexhandschuhe, Silikongleitgels, dazu Bücher, Handbücher, Videos, spezielle Schaufenster mit Neuheiten à la Großer-Schwanz-kleiner-Schwanz, und natürlich T-Shirts und Baseballmützen mit Kondom-Logos.
»Und der Laden hat eine strategische Lage, draußen an der Grenze zum Neuland«, sagte er. »Ich sehe schon eine Satellitenstadt vor mir, die aus diesem einen Laden sprießt, tausend Häuser, das ist meine Vision, sozusagen wie Radspeichen um den Kondomladen herum. Wie eine mittelalterliche Siedlung mit der Burg genau in der Mitte.«
»Die haben ihre Burgen am Stadtrand gebaut.«
»Leck mich. Zeig dich mal ein bißchen erstaunt. Es gibt Gummis mit Pfirsichgeschmack. Und die Kids treffen sich hier, hängen ab und gucken, was so läuft. Ich warte nur noch darauf, daß gleich Al Hibbler Unchained Melody singt.«
»Al Hibbler war gut.«
»Gut? Leck mich, gut. Er war unglaublich. Du glaubst, Ray Charles wäre blind? Ha, Al Hibbler, der war blind. Sag doch mal was!«
Er führte mich einen Gang entlang. Meine Reaktion war: Guck dir bloß diese vielen Kondome an. Genoppt, hauteng, gerippt, ungesattelt. Wir sagten früher immer: Geh bloß nicht ungesattelt rein. Was heißen sollte, zieh einen Gummi drüber, sonst kriegt sie einen dicken Bauch. Und jetzt gab es Gummis, die »ungesattelt« hießen, elektronisch getestet auf Gefühlsechtheit und Durchsichtigkeit.
»Die verdrängen noch die Sneakers«, sagte Brian. »Eines Tages knallen sich die Kids für ein teures Lammfell-Kondom ab.«
Manche Kondome wurden einzeln aus Gläsern, aus Bonbongläsern verkauft – nimm ne Handvoll. Eine Frau betrachtete das ausgestellte Modell eines Polyurethan-Überzugs mit elastischen Ringen an beiden Enden. Brian kannte sie vom automatischen Kassenschalter seiner Bank – hallo, guten Tag, Hi, hallo. Es gab Fingerkondome und Ganzkörperkondome, Oralkondome mit Pfefferminzgeschmack. Es gab Kondometuis in Taschenformat und ein Kondom, das man als Hut tragen konnte.
Brian sagte: »Mein Bruder hatte als Jugendlicher die ganze Zeit einen Gummi in seinem Geldbeutel. Einmal hat er ihn mir gezeigt, ich glaube, ich war zwölf. Schnippt den Geldbeutel auf und zeigt mir dieses kleine verschrumpelte Ding, wie ein abgeschlaffter Pimmel, und ich glaube, davon habe ich mich nie wieder erholt. Ich war noch nicht bereit, in diese Welt einzutreten. Auf der animalischen Ebene konnte ich Sex begreifen. Aber das war etwas völlig anderes. Es hatte etwas mit dem Material zu tun, dem plastikhaften Gummi, wie es aussah und sich anfühlte, ich mußte es nämlich anfassen, und die ganze Beschaffenheit und Funktion von diesem Ding, was weiß ich, es war ein beunruhigender Fremdkörper. Ich fand es schon heftig genug, mich mit Sex an sich auseinanderzusetzen. Und jetzt sollte ich mir Technologie um meinen Schwanz wickeln. Das war nämlich massenproduziertes Latex, mit dem auch Kriegsschiffe angestrichen werden.«
»Du warst ein empfindsamer Junge.«
»Ich war dürr und stumm, gerade mal als menschlich zu bezeichnen. Du warst ein strammer Bursche, der Jungs wie mich immer vertrimmt hat.«
»Jungs wie dich hatten wir nicht«, sagte ich zu ihm. »Hattest du immer einen Gummi dabei?«
»In der kleinen Seitentasche meiner Latzhose.«
»Als ich sechzehn war, gab's die nicht mehr.«
»Sind gerade wieder in«, sagte ich.
»Ich glaube, mein Bruder hat das Kondom in seinem Geldbeutel nie benutzt. Als er ein Auto bekam, hat
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