Untitled
Gefängnis. Zumindest solange er nicht verurteilt wird. Er schleppt auf seinen Schultern schon ein ziemliches Bündel. Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung unwahrer und tendenziöser Gerüchte, Diffamierung… Aber dann lege ich mir als Christ die Hand aufs Herz und frage mich: ist das wirklich ein Vergehen? Oder aber handelt es sich um einen armen Irren, der Sachen sagt, ohne selbst genau zu wissen, was er da eigentlich sagt?«
»In Ordnung, hab' verstanden: für den Augenblick können wir nichts weiter tun.«
»Oh, nein, Teuerster, Sie können durchaus was tun. Ja, es ist sogar Ihre Pflicht, was zu tun.«
»Erklären Sie sich genauer, Signor Advokat.«
»Sie müssen einen Bericht über die Tat abfassen, und zwar in vierfacher Ausfertigung. Unverzüglich, auf der Stelle. Sie müssen die Sache so erzählen, wie sie ist, kein Wort mehr, kein Wort weniger. Die erste Abschrift schicken Sie per Hand an Ihren Vorgesetzten, den Signor Polizeipräsidenten. Die anderen drei schicken Sie zur gefälligen Kenntnisnahme an den Signor Präfekten, an den Kommandanten der Carabinieri und an den Staatsanwalt des Königs. Sollte nämlich jemand von denen irgend etwas auf Grund der Anzeigen von diesem Irren in die Wege geleitet haben, blockiert er die Sache noch rechtzeitig, um nicht als Trottel dazustehen. Na, ist das eine Überlegung?«
»Schon. Aber, Signor Advokat, tun Sie mir einen Gefallen?«
»Wenn ich kann…«
»Schreiben Euer Ehren mir den Bericht? Ich würde einen ganzen Tag dafür brauchen.«
»In Ordnung. Unter einer Voraussetzung allerdings: allesamt müssen sie ihn in spätestens zwei Stunden erhalten.«
Die Falle, die sich Don Cocò ausgedacht hatte, funktionierte fabelhaft. Advokat Fasùlo tunkte lächelnd die Feder ins Tintenfaß.
Während Spampinato zusah, wie der Advokat schrieb und ihm hin und wieder, der Genauigkeit halber, eine Frage stellte, machte sich in seinem Kopf ein Gedanke breit, den er laut aussprach. »Und was, wenn er gar nicht tot wäre?« Die Feder von Advokat Fasùlo verharrte halb in der Luft. Er wußte genau, daß der Pfarrer in ein schlimmeres Leben eingegangen war und kannte auch den Ort, an dem sich die Leiche in diesem Augenblick befand, aber er mußte so tun, als wisse er von nichts und das Spiel weiterspielen.
»Was heißt das, nicht tot wäre?«
»Signor Advokat, hören Sie. Wir wissen von der ganzen Sache doch nur, was Bovara uns erzählt hat. Folgen Sie mir?«
»Ich folge Ihnen.«
»Aber da es sich bei ihm um einen Irren handelt, könnte es ja auch sein, daß Padre Carnazza überhaupt nie erschossen wurde und sich in just diesem Augenblicke in der Kirche befindet und das Avemaria spricht. Nach einiger Zeit ist er aufgestanden und weggegangen, um sich die Wunde versorgen zu lassen. In diesem zweiten Fall wäre Bovara allerdings nicht so irre. Und ich kann dann nicht mit diesem Bericht herumlaufen und sagen, Bovara hat völlig den Verstand verloren und redet wirres Zeug.«
»Ihr Gedankengang ist schlüssig«, sagte Fasùlo und tat so, als würde er dem zustimmen. »Warum also schauen Sie nicht auf einen Sprung in die Kirche, während ich den Bericht zu Ende schreibe, und sehen nach, ob der Pfarrer zurückgekommen ist? Sie können auch einen Ihrer Männer zu allen Ärzten von Montelusa und ins Hospital schicken und fragen lassen, ob sie Padre Carnazza gesehen hätten. Wenn er sich in der Kirche nicht gezeigt hat und wenn niemand nichts weiß, dann schicken wir den Bericht ab.«
Die Kirche war voller Menschen, wie am Fest des Heiligen Girlando. Am Hochaltar aber stand, anstelle des Pfarrers, eine Frau. Die sang, und die Gläubigen lausch ten ihr. Nicht nur hatte der gesamte Ort erfahren, daß der Pfarrer erschossen worden war, alle wußten auch, daß man den Körper nicht gefunden hatte. Aus dieser letzten Mitteilung hatte Signora Ersilia Cuccurullo eine klare Vorstellung entwickelt, nämlich daß Padre Carnazza, gleich dem Herrn Jesus, auferstanden war und aus diesem Grunde nicht gefunden werden konnte. Zweifelsohne würde er seinen Gläubigen wiedererscheinen. Daher hieß die Hymne, die sie in diesem Augenblick sang, auch »Resurrecckesitz«.
Der Polizeiamtsleiter brauchte gar nicht erst zu fragen, ob der Pfarrer in die Kirche zurückgekommen sei. Er ging zur Polizeidienststelle zurück. Bovara schlief noch immer auf dem Sofa des Büros. Spampinato rief vier seiner Männer zusammen und schickte sie fort, um Informationen von den
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