Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
Vom Netzwerk:
Stofftier ihrer Ansicht nach nicht mehr zu reparieren war, sagte meine Mutter immer: Ach je, zu Tode geliebt.
    Auf dem Rücksitz des Taxis streift mich erstmalig die Ahnung, dass meine Offenherzigkeit in einem sogenanntenTrennungsgespräch eine unkluge Idee gewesen sein wird. Die Ahnung streift mich wie gesagt lediglich, denn dass ich daraus in den nächsten Stunden noch die angekündigte Kette der dummen Ideen schmieden werde, bleibt mir schleierhaft. Zum Beispiel fällt mir genau jetzt, anlässlich meines gleichermaßen ausgeprägten Rede- wie Beratungsbedarfs ein oder auf, dass Maxim für mich nicht zu erreichen ist, da er sich auf einer umständlichen Route nach Nordkorea befindet, um Katja zu besuchen, die dort Regie führt in ihrem neuen Film mit Frank Giering. Wo ich heute Nacht schlafen soll, erscheint mir als das geringste Problem. Ich bitte meine Sekretärin um die Buchung eines Hotelzimmers als Zwischenlösung. Die Reisetasche schiebe ich mit der Schuhspitze unter den Schreibtisch. Ich schalte den Computer an.
    Das Telefon klingelt, ich nehme den Hörer nicht ab. Dann holt es mich ein.
    Ein Fehler, ein Fehler, ein Fehler!
    Ich wage es minutenlang nicht, auf das iPhone zu sehen. Doch als ich es tue, werden mir zwei Nachrichten von Julia angezeigt:
    Senta Kustermann erzählt Susanne Kalldewey, wir hätten eine Affäre?!
    Zweitens:
    Ich könnte heulen vor Wut!
    Meine Hände zittern. Ich komme gar nicht auf die Idee, Julia anzurufen, weil ich nicht weiß, ob sie ungestört sprechen kann. Aber das Tippen klappt auch nicht, ich produziere Konsonantenhaufen ohne Sinn. Es sind diese von jeglicher Herzlichkeit befreiten Sätze Julias, die mir unheimlich sind. Aggressiv. Was meinen Adrenalinpegel zusätzlich in diese Höhe treibt, ist die entsetzliche Gewissheit, einen Fehler gemacht zu haben – wie konnte ich nurJulia verraten? War mir denn nicht bewusst, dass ich sie, ihre Ehe vor alledem, gefährden würde?
    Julias Antwort auf meinen Versuch einer Entschuldigung lautet, es sei ihr zum Glück gelungen, Susanne davon zu überzeugen, dass an diesem Gerücht rein gar nichts Wahres sei.
    Und dass mich diese Nachricht als eine gute erreicht; dass lediglich derjenige Teil der Information zu mir hindurchdringt, dass eine Gefahr von Julia abgewendet werden konnte; hingegen die gleichzeitig übermittelte Tatsache, dass ich, dass meine Existenz, meine Liebe zu ihr, ihre zu mir, wir, totgeschwiegen werden – das wiederum bleibt sogenannt außen vor. Wo eigentlich genau? Auch das ist zu diesem Zeitpunkt, am Ende des Februars, zu dessen Beginn wir uns kennenlernten, küssenderweise, egal.
    Zumindest scheint es so. Mir jedenfalls. Und da es mir gleichgültig vorkommt, spreche ich Julia nicht darauf an. Auch, nein, vor allem weil ich den Großkomplex ihres Verheiratetseins weiträumig umschiffen will, wie es so heißt. Denn wie es mir trügerisch erscheinen will, habe ich die Tatsache, dass die von mir Begehrte bereits vergeben ist (woraus sich logischerweise die Drohung der Vergeblichkeit herleiten lässt), verdrängt. Und das wiederum, Verdrängen, erscheint mir zu diesem Zeitpunkt noch als gleichbedeutend mit: aus der Welt schaffen.
    Ich spüre wohl, dass etwas nicht stimmt mit mir. Da ist eine Unruhe. Ich weiß bloß nicht, wovor, aus welchem Grund diese Verunsicherung entstanden ist. Eigentlich habe ich bloß eine Entscheidung getroffen. Als ich während einer Besprechung mit meinen Mitarbeitern mit der Schuhspitze an die Reisetasche unter dem Schreibtisch stoße, ist es mir klar: ich habe in der vergangenen Nacht so ziemlich alles verloren, das meine sogenannte Existenz bedeutet hat.Freundin, Wohnung, Habseligkeiten. Die Erleichterung, die ich heute früh noch gespürt habe, hat sich über Verunsicherung in das Gefühl einer Leere verwandelt. Daraus wird jetzt Angst.
    Solange ich noch im Büro zu tun habe, geht es so einigermaßen. Ich werde viel angesprochen, muss reagieren, das hält mein Gehirn sozusagen in Atem, und in meinem Bewusstsein bleibt währenddessen kein Raum für die hässlichen Gedanken, die sich jedoch durchaus spürbar aufzustauen beginnen.
    In meinem Zimmer der Pension Zum Goldenen Reiter alleingelassen brechen sie über mich herein.
    Zuerst nehme ich an, es liegt an dem Raum, der, wie Borges das Gesicht eines pfeiferauchenden Brillenträgers mit Vollbart beschreibt: trop meublé ist und dazu mit einem Ausblick auf die Fassade des gegenübergelegenen Mietshauses im orangefarbenen Licht einer

Weitere Kostenlose Bücher