Untitled
er sich trotzdem noch einmal verliebt.
Er sagt: Mit Kälte. Die brauche ich ohnehin, denn duweißt, wie es in einer Küche zugeht. Und auch für meine andere Beschäftigung, die Musik, brauche ich reichlich Kälte in mir, dass es mich förmlich in die Glut der Produktion treibt, um mich dort aufwärmen zu können. Denk an Glenn Gould, der sich die Spielfinger mit siedendem Wasser zur Hummerfarbe brühen musste, bevor er sich an den Flügel setzte. Aber dass noch einmal eine Frau dieses Feuer entfacht, das mich von innen her wärmt, dagegen habe ich mich mit mir selbst verschworen. Und dazu macht er die bekannte Geste mit dem Blatt Papier, das zwischen ihn und den anderen (also auch er) nicht gelangen kann.
Ich spüre den Alkohol. Es werden noch weitere Flaschen gebracht.
Als ich kurz vor vier hochschrecke, stoße ich in der mir noch fremden Umgebung meines Hotelzimmers gegen das Rattanregal. Bücher gehen zu Boden und ich finde den Lichtschalter nicht, also versuche ich die Flashlight-App auf dem iPhone zu finden, aber ich bin noch ganz wattig und desorientiert von dem vielen Wein. Der Geschmack auf meiner Zunge ist schlimm, aber was ich auf dem Display des iPhones sehe, ist fürchterlich. Der Bilderstapel zeigt mich mit einer Blondine vor den Kacheln der Toilette im Kronengrill, wie ich ihr eine schaumige Substanz aus dem Gesicht entferne. Und zwar, wie es aussieht: küssenderweise. Ich wische das Bild zur Seite und es erscheinen aus anderen Perspektiven gemachte Aufnahmen dieses Motives. Es wechseln auch die Frauenfiguren. Eine ist rothaarig, zudem stark gelockt. Eine sehr kleine Frau hat ihren Schädel glatt poliert. Erin taucht in einer schaumig grundierten Dreierkonstellation auf. Ich erkenne eigentlich nur ihr Auge. Sie zwinkert mir zu (also ursprünglich jener Person, die die Kamera meines iPhones bedient haben muss).
Ich bin Atheist. Es gibt Situationen, da entfährt mir ein O Gott! Und zwar während ich den Ordner versendeter EM ail inspiziere. Offenbar habe ich noch aus dem Kronengrill sämtliche dieser Bilder an Julia verschickt. Die nun, in Bremen, in ihrem Zweitehebett liegt. In drei, vier Stunden werden sie sich erheben. Er wird, so stelle ich es mir vor, zuerst das Badezimmer aufsuchen, denn für gewöhnlich brauchen Männer nicht viel Pflege – während er also duscht, befreit sie ihr iPhone aus dem Flugmodus und wird von dem plumpsenden Flötenton über das Eintreffen der nächtlichen Post informiert. Oh: gleich mehrere!
In der Kette der dummen Ideen wird diese als besonders schwerwiegend hervorstechen. Noch ist mein Urteilsvermögen vom Alkoholkonsum beeinträchtigt. Die Angelegenheit erscheint mir zwar peinlich und gravierend, aber irgendwie auch nachzusehen. Oder? Ich meine, es war auch kein leichter Tag für mich. Keine leichte Woche. Die ganze letzte Zeit war nicht eben leicht. Zu diesem Zeitpunkt, eines Dienstags Anfang März, morgens kurz vor fünf in einem Zimmer der Pension Zum Goldenen Reiter, habe ich keine Ahnung, dass die vermeintlichen Leiden der zurückliegenden vier Wochen nichts waren im Vergleich zu denen, die mir noch bevorstehen. Ganz sicher hätte ich dann meine Zeilen an Julia in einem ganz anderen Ton abgefasst. Ich hätte mich als der Liebende an sie gewandt, der dann aus mir geworden sein wird – nein: in wenigen Wochen schon wird mir etwas derart respektlos unsere Geschichte mit Füßen Tretendes weder im Vollrausch noch sonst wie in den Sinn gelangen. Sie und ich und was mit uns geschieht, wird zum Heiligtum geworden sein und ich würde mir denjenigen Teil meines Gehirns, der diesedummen Ideen generiert, lieber entfernen lassen, als dass sich etwas Derartiges wiederholt.
Auf dem Split Screen ist also zu sehen, wie ich in dem Hotelzimmer herumtigere/Im nächsten Feld liegt das iPhone der Philosophin auf der Sitzfläche eines mit ihren Kleidungsstücken behängten Stuhles, dahinter, horizontal und bereits in der Unschärfe, ihr wunderschönes, ruhig atmendes Schlafgesicht/Im Zeitrafferverfahren wird das Aufgehen der Wintersonne über dem Potsdamer Platz gezeigt, der sich dabei mit den Schlingen aus weißen und roten Lichtspuren des anschwellenden Berufsverkehrs füllt/Eine Großaufnahme zeigt meinen linken Daumen, von dessen Spitze meine Schneidezähne ein längeres Stück Haut abziehen/Sonnenlicht dringt durch grob gewebte Vorhänge aus fliederfarbenem Wollstoff/Eine Männerhand, nicht meine, die auf dem Display eines Blackberry die Schlummerfunktion des Weckrufes
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