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Untitled

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Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Straßenlaterne. Der Zimmerwirt bemerkte mit fester Stimme, dass sich in dem Rattanregal neben dem Fenster deshalb so viele Bücher befänden, da dieses Zimmer einige Jahre lang von einem Publizisten bewohnt wurde, dessen Name in den Achtzigerjahren auch außerhalb Deutschlands ein Begriff war. Ich blättere einige der Taschenbücher durch, kann aber weder Initialen noch Namensstempel finden, die einen Hinweis liefern könnten auf die Identität des Vorbewohners.
    Während ich vom Zimmerwirt angehalten werde zu trinken, denke ich: Ich will alleine sein. Der Gedanke steht mir trotz des steigenden Alkoholpegels glasklar vor Augen. Dennoch sage ich nichts. Auch nicht, als wir aufbrechen, das Zimmer verlassen, mein Zimmer, um noch im Kronengrill vorbeizuschauen, wie es der Zimmerwirt nennt. Er kennt dort die entscheidenden Leute, wie er es nennt. Die wichtigen Gastronomen Berlins seien alle untereinander befreundet. Wie auch in New York. Wie in Paris oder Hongkong. Man neidet sich wenig, prägend wirke vielmehr Respekt. Von ihm beispielsweise sei bekannt, dass er gut koche. Die Küche des Goldenen Reiter sei freilich nicht sein Schaustück – aber privat tische er auf. Wenn er Freunde bewirte. Bei ihm am Küchentisch auf der Eckbank sitzend, speise man anerkanntermaßen wie in einem Sternerestaurant. Der Weinkellner des Kronengrills bestätigt dieses Geschmacksurteil beinahe unaufgefordert und bringt ausgefallene Flaschen heran, die vom Zimmerwirt zu einer vertikalen Verkostung benötigt werden.
    Mir fehlt ja leider das für solcherlei Vergnügen notwendige Interesse an den feinen Unterschieden. Wenn mir etwas gefällt, reicht mir das aus. Ich esse beinahe immer dasselbe. Cornflakes zum Beispiel. Oder Fritten mit Senf. Und bei den Weinen ist es ähnlich. Als der Zimmerwirt das Abschweifen meiner Aufmerksamkeit bemerkt, fragt er mich, an wen ich da Nachrichten schreibe unter dem Tisch. Es liegt nicht am Redelösenden des vielen Weins, den wir getrunken haben, ich bin froh, eine Gelegenheit zu bekommen, von Julia sprechen zu dürfen. Denn über sie zu sprechen, von ihr zu erzählen, fühlt sich in dem Moment an, als ob ich mich tatsächlich mit ihr beschäftige. Die Figur meines Gegenübers, des Zimmerwirtes in diesem Fall, ist dabei beinahe egal – so lange er nichts Böses sagt über Julia. Das klingt ungerecht, arrogant eventuell, ist es aber nicht. Zumindest ermöglicht man einer gequälten Seele durch Aufmerksamkeit und Zuhören eine qualitative Verbesserung der sogenannten Gefühlslage. Mehr gibt es nicht, was Menschen füreinander tun können. Schon als ich ihren Namen ausspreche – weil er mich danach fragt – wird mir wohlig im Bauch. Und ich kann ihr liebes Gesicht wieder vor mir sehen, und da ist beinahe der Duft ihrer Haut; zumindest spüre ich, wie weich sie sich anfühlt. Wie schön ihr Nacken sich unter meinen küssenden Lippen streckt. Das kurz geschnittene Haar. Die dünne Haut an ihrer Schläfe und die kleine Ader, die dort zartlila schimmert. Wie bei einem Kind.
    Ein a, gefolgt von zwei e – der Zimmerwirt. Er singt die Tonfolge, die er den Buchstaben ihres Namens entnommen hat: Hübsch! Das Geschmacksurteil wird auf der ersten Silbe gaumig betont. Ein Bild von ihr braucht er von daher gar nicht mehr zu sehen. Seiner Erfahrung nach wird der empfindsame Mensch von der Melodie seines Namens geprägt (ist es doch unweigerlich sein Leitmotiv). Doch, die ganze Storia sagt ihm zu. Wobei – hier verengt der Zimmerwirt die Lider um seine großen blauen Augen –, es klingt auch sehr leidenschaftlich, hitzig geradezu (worauf ich enthusiastisch zustimme), und da sei für ihn sozusagen automatisch Schluss. Das will er nicht. Er hatte es aber schon mal. Ein Mal, sagt der Zimmerwirt, habe ich geliebt. Tief und flammend und heftig und auf Teufel komm raus. Als sei ich süchtig, war mein ganzes Denken gerichtet auf diese Frau: Wo ist sie, was macht sie, wann kann ich sie wiedersehen? Und nie waren die Begegnungen ausreichend, niemals genügte die Intensität, sodass ich, kaum dass wir uns eben gesehen hatten, schon wieder an die Nadel mit ihrem Herzblut musste. Für anderes, Freunde, Beruf, vernünftiges Wirtschaften, meine Gesundheit reichten bald weder Interesse noch Energie. Ich wurde zu einem Sozialfall aus Liebe.
    Der Zimmerwirt studiert meinen Gesichtsausdruck, hebt sein Glas an, ohne jedoch daraus zu trinken: Nie mehr.
    Ich urteile nicht, aber erlaubt ist die Frage: wie er sich dagegen schützen will, dass

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