Untitled
zubinde. Und hast du das schon mitbekommen: Kai Margrander ist tot.
Wir treffen uns im Kronengrill. Die Verabredung hatten wir vor ein paar Tagen schon abgemacht, denn ich musste ihm ja dringend erzählen, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Und Maxim hatte immer viel zu tun. Das Restaurant hat tagsüber nicht geöffnet, aber Maxim hat es vom Abend an gemietet, er veranstaltet dort ein Essen für Sammler, Kuratoren und Freunde seiner Galerie. In den Stunden vor seinem Abflug nach Nordkorea. Ich freue mich wirklich, ihn zu sehen. Nach dem Lügen und dem Druck und der großen Traurigkeit im Flugzeug darf ich mich hier mit Maxim entspannen. Wir sitzen in einer Nische, der Kellner bringt einen leichten Rotwein (mir fällt nicht mehr ein, wann ich das letzte Mal feste Nahrung zu mir genommen habe: vor vier Tagen, drei?) Maxim ist acht Jahre älter als ich, er sieht Al Pacino ähnlich, sein Haar ist silbrig, seit ein paar Jahren trägt er auf der Straße einen Hut. Überhaupt kleidet er sich sozusagen herrenhaft, ich habe ihn noch nie in einem Pullover gesehen, noch nie mit anderer Oberbekleidung als in einem Hemd mit Sportmanschetten und einmal nur in Jeans. Ich finde das aber gut bei ihm, denn der konservative Aufzug bringt seine unkonventionellen Ansichten extrem zur Geltung. Maxim ist der verständigste, weil intelligenteste Mann, den ich kenne. Und er bezeichnet sich von der Gesinnung her als Punk. Das kann ich sozusagen voll unterschreiben, denn zwar gibt es viele, die mit dieser Haltung liebäugeln, aber Maxim ist ein waschechter Punk. Ich kann das beurteilen, denn ich bin es auch.
Unsere Freundschaft ist von jener Sorte, die sich unweigerlich entwickelt, wir trafen an einem frühsommerlichen Abend in seiner Münchner Galerie aufeinander. Wir sprachen nicht viel miteinander, er trug einen beigen Anzug, ich das navyfarbene Jackett aus Plastikpiquet, das ich mir am selben Vormittag in einem kleinen, eigentlich doofen Geschäft gegenüber des Literaturhauses am Salvatorplatz gekauft hatte. Und von dem Tag an sahen wir uns sehr oft. Ich rede gern und viel. Maxim ist ein hervorragender Zuhörer. Eigentlich war er der Verkünder Julia Speers in männlicher Gestalt.
Wir trinken zwei Flaschen des ausgezeichneten Spätburgunders und Maxim sagt kein einziges Wort, während ich ihm die Geschichte von Julia und mir erzähle. Und zwar sämtliche Einzelheiten. Alle Dinge, die ich von ihr weiß. Das ist mittlerweile eine ganze Menge, wie ich feststelle. Und das Gefühl, das ich dabei habe, ist Stolz. Maxim picture-googelt ihr Foto, von der Seite namens Purple Brain. Sie ist wahnsinnig schön! Maxim findet das auch. Sehr! Das macht mich gleich wieder stolz. Wann seht ihr euch?
Wahrheitsgetreu gebe ich zu, dass ich das nicht weiß. Wie es aussieht, wird Julias Ehemann die nächsten Wochen nicht von ihrer Seite weichen. Ich weiß von diesem Mann, wie mir gerade bewusst wird, nichts, bis auf seinen Vornamen, Frederick, und dass er im Entwicklungszentrum eines Spieleherstellers in Bremen arbeitet.
Maxim schenkt sich einen Spritzer Mineralwasser insein Glas mit Rotwein. Er verträgt unfassbare Mengen Alkohol, besonders eindrucksvoll ist seine Stamina in Bezug auf Bier, aber seit einigen Jahren hat er sich den Brauch des Verdünnens angewöhnt; das fing, glaube ich, ziemlich zeitgleich mit seinen Yogastunden an.
Ich kann mich nicht erinnern, diese Geschichte schon einmal in dieser Drastik von ihm gehört zu haben, was mir seltsam vorkommt und mich vorübergehend misstrauisch werden lässt, denn eigentlich war ich davon ausgegangen, wir wüssten im Wesentlichen alles voneinander. Und irgendwann hatten wir auch mal darüber gesprochen, dass er Katja, seine Ehefrau seit zwanzig Jahren, seinem damals besten Freund ausgespannt hatte.
Aber entweder war es mir entfallen, oder ich hatte vergessen, nachzufragen. Jedenfalls erfahre ich nun, dass der Vorgang des Herauslösens von Katja aus ihrer alten Beziehung, dass Maxims, man muss es beim Namen nennen: heimliche Affäre mit der Freundin seines besten Freundes über fünf Jahre gedauert hatte. Fünf Jahre Heimlichkeiten, Lügen und Verrat. Jetzt bin ich es, der große Augen macht.
Ich konnte keine Telefonzellen mehr sehen, sagt Maxim.
Ich verspüre sofort den Drang, mein iPhone zu entriegeln und nach Nachrichten von Julia zu sehen. Mir ist nicht direkt schwindlig, es ist eine Mischung aus Furcht und einem Gefühl, das man Enttäuschung nennen kann oder Desillusionierung. Wir
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