Untitled
es spüren. Wem gegeben wird, der hat. Ich sprühe Funken, stecke an, mein Humor wird allgemein für großartig befunden. Und die gute Laune der anderen wiederum und immer so fort.
Musik ist etwas Großartiges. Musik ist, das werden Julia und ich in den nächsten Wochen noch herausfinden, nicht nur etwas, sondern: lebensnotwendig. Musik, der Austausch von Songs, wird unser bevorzugtes Mittel der Verständigung bleiben. Im Wikipediaeintrag zum Begriff Liebe finde ich ein Zitat Friedrich Nietzsches, den ich ansonsten unangenehm fand: Denn durch die Musik hindurch sehen und hören sie, wie durch einen farbigen Rauch, ihre Liebe gleichsam ferner, rührender und weniger schwer geworden; Musik ist ihnen das einzige Mittel, ihrem außerordentlichen Zustande zuzuschauen und mit einer Art von Entfremdung und Erleichterung erst seines Anblicks teilhaftig zu werden. Jeder Liebende denkt bei der Musik: Sie redet von mir, sie redet an meiner statt, sie weiß alles!
Die Entscheidung, Julia ausgerechnet dieses Stück zu schicken, hatte sich auf eine mir völlig ungewohnte Art angebahnt. Ich fühlte plötzlich, dass ich ihr diesen Song schenken will. Ganz unbedingt und sofort. Für mich ist es ungewohnt, intuitiv zu handeln, weil ich mir trotz stark ausgeprägter Intuition viele Jahre das intuitive Entscheiden versagt habe – ich war durch das Offenbaren meiner Gefühlswelt sehr häufig in Zwangslagen geraten, hatte mich in die Ecke gedrängt gefühlt und dann geschahen Dinge, die mit uncool noch wohlmeinend beschrieben sind. Unschöne Szenen. Ziemlich kaputt.
Aber obwohl das Wort nicht gesprochen wurde, geschweige denn: geflüstert; ich mir Julias Stimme wohl nur dazu denke, zu diesem angeblich von ihr geschriebenen Wort – noch nicht einmal handgeschrieben, sondern ein aus dem Irgendwo heruntergeladener Datensatz, der in der Geräteschrift des iPhones lediglich dargestellt wird –, beflügelt es mich, diese niedliche Gruppe von Zeichen, aneinandergeschmiegt hinter dem anmutig sich windenden S, bewacht von einem stolzen Rufzeichen: Sehr!
Wir müssen was über die Anmut der iPhone-Benutzeroberfläche machen, schlage ich in der Besprechung mit meinen Mitarbeitern vor. Der Einspruch lautet: Hatten die doch im Zeitmagazin. Egal, sage ich. Wir machen es noch mal. Nur besser. Ich schreibe es selbst.
Mir fallen noch etwa acht bis elf dringende Themen ein – und zwar in jenem Moment, wo kommen diese Eingebungen denn auf einmal her? –, deren Killerpotenzial, wie es aussieht, momentan lediglich von mir selbst erkanntwird. Auch das ist egal, finde ich. Und zwar laut. Journalismus kann keine demokratische Veranstaltung sein. Als euer Ressortleiter empfehle ich von daher die umgehende Umsetzung folgender Geschichten mit garantiertem Killerpotenzial:
Erstens: eine Reportage über die größte Algenfarm außerhalb Japans. Befindet sich in Nordspanien. Das Restaurant Kronengrill bezieht das Meeresgemüse für den schmackhaften wie nährstoffhaltigen Algensalat von dort. Zweitens: eine ausführliche Verkostung der Vernissagenweine sämtlicher Galerien, die wir erwähnenswert finden – und zwar die Roten wie die Weißen. Das Protokoll muss bereits während der Verkostung, sozusagen under the influence getippt werden. Und dann exakt so abgedruckt. Den ganzen Wahnsinn einszueins. Drittens sollten wir hurtig jemanden an die Südspitze Italiens entsenden, samt großer Spesenanweisung, die Recherche hat es in sich. Wie Carine Roitfeld mir auf der Calvin-Klein-Aftershowparty erzählte, haben Gucci, Prada, Versace et cetera dort mittlerweile eigene Supertanker innerhalb der Dreimeilenzone vor Anker liegen. Unter Deck sitzen die chinesischen Leiharbeiter dicht an dicht und nähen Handtaschen und Jeans im Akkord. Die aufs Festland in die Fabriken einzuschleusen wäre selbst in Italien problematisch. So aber, da die schwimmenden Fertigungsstätten noch innerhalb des italienischen Herrschaftsgebietes liegen, darf immer noch Made in Italy auf den Etiketten stehen. Dazu starten wir auf der Partnerschaftsseite eine groß angelegte Serie, Arbeitstitel: Things we do for love. Dazu müssen wir einfach nur Paare finden, die ihre Kennenlerngeschichten erzählen. Mir ist es egal, ob man die Paare kennt oder nicht – wenn die Geschichte gut ist, wird das uninteressant. Und dann brauchen wir schnellstmöglich einen Essay über den Trendzur Verlangsamung. Nicht unbedingt Wandern und Slow Food, sondern diese neuartige Musik, die ich in New York gehört habe
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