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Untitled

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Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Eltern. Dass Betony jetzt raucht, wundert mich, schließlich war sie es, die mir einst zur veganen Ernährung geraten hat, weil das die Produktion der Botenstoffe begünstigt, die wir genießen, wenn wir uns verlieben und erst recht dann beim Sex.Aber da ich von denen anscheinend im Überfluss habe und ohnehin mein vegan versorgtes Blut seit Wochen zu einem Chemococktail verquirle, wird das bisschen Nikotin, die ödeste und blödeste aller Substanzen, auch nichts mehr ausrichten – und was für eine herrlich billige Freude das doch ist!
    Wir rauchen und ich erzähle ihr alles, von Anfang an, von der Zahnpasta bis zu den Wochen der Entbehrung, und als ich schluchzen muss und nicht mehr reden kann, sagt Betony: Don’t worry Honey. You are just in love.
    Und ich schreie.
    Weil es so ungerecht ist. Weil es unerträglich ist zu wissen, dass mir das jetzt, ausgerechnet jetzt erst widerfährt. Nach all diesen vielen Jahren der Abwesenheit des Glücks. Es ist so ungerecht, dass ich all die vielen Jahre keine Ahnung hatte, dass ich unglücklich war; ich war einfach nur und ich war mit den Zuständen zufrieden. Und die Zeit verging und irgendwie war immer irgendetwas zu tun und los. Und immer gab es irgendjemand an meiner sogenannten Seite und nie war ich allein und es war gut und es war in Ordnung und alles war an seinem Platz, wie es mir schien. Es war scheinbar auch gut, dass alle diese Frauen irgendwann wieder gingen. Dass dieses Lieben immer wieder von Neuem zu Ende ging und dann auch wieder losging, in der vertrauten Weise.
    Und ausgerechnet jetzt, wo ich fühle, dass Julia nie mehr gehen soll und wird; wo ich aber gleichzeitig fühle, dass sie niemals, nie im Leben ankommen wird und ich von daher immer, immer, immer in diesem scheußlichen Zustand verbleiben muss – warum bloß! Warum ich? Und wieso muss es so ungerecht ablaufen, dass, was ich fühle, falsch ist für einen anderen Menschen, wo es sich doch nur richtig und gut und heilsam anfühlt für mich? Und das derart heftig,dass es mich besetzt hält und zunehmend zerstört? Warum bloß, warum hört es denn nicht einfach auf?
    Da dies kein Besuch bei einer Freundin ist, sondern ich Betony konsultiere, bittet sie mich, sie die Wendeltreppe hinunter zu begleiten. Dort befindet sich sozusagen ihr Sprechzimmer: ein mit schwarzem Fußboden ausgelegter Raum mit schwarzen Sitzgelegenheiten vor silbernen Wänden. Es gibt einige Spiegel und eine flackernde Feuerstelle aus Chromstahl.
    I can lower this to pure chemistry, sagt Betony. Hast du schon etwas vom VNO gehört? Es sind widersprüchliche Ansichten darüber im Umlauf, aber in der Nasenspitze sitzt bei vielen Menschen ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Organ. Es lässt sich bei nahezu allen Tierarten finden, sogar bei Fischen, es wirkt dominant in den Entscheidungen der Partnerwahl. Dieses Organ wird während des Heranwachsens des menschlichen Embryos zwar vollends herangebildet, der herrschenden Lehre zufolge verkümmert es aber vom Augenblick der Geburt an nach und nach. Man nannte es auch Jacobson’sches Organ und es besteht aus einem Gebilde feiner Kanäle, in denen Flüssigkeiten steigen und fallen. Damit wittert der Mensch. Die rätselhafte Natur der Bindung von Mutter und Kind lässt sich damit zum Teil gut erklären – im Leib ist der Embryo neun Monate vom Duft seiner künftigen Mutter umgeben. Ich bin davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, bei denen dieses Organ eben nicht verkümmert, sondern intakt bleibt. Treffen zwei solcher Menschen aufeinander, kommt es zu einer heftigen Anziehung. So heftig womöglich, wie du es mir beschreibst. Du und Julia habt euch gewittert. Oder geflehmt, wie es bei Martin Heidegger heißt. Von Heidegger gibt es im Übrigen ein schönes Bild, das deinen Zustand in seiner ganzen Ambivalenz sehr schönbeschreibt: Eine Biene lässt sich nieder auf dem Rand einer Petrischale, die mit einer süßen Flüssigkeit befüllt wurde. Die Biene streckt ihren Rüssel aus und beginnt diese Nahrung einzusaugen. Sie wird damit nicht aufhören. Selbst dann nicht, wenn wir ihr währenddessen, wie in diesem von Heidegger beschriebenen Experiment, den Hinterleib abtrennen. Die Biene fährt fort die Nahrung einzusaugen, die ihr nun aus dem Brustsegment ins Freie quillt. Heidegger nennt die Biene von dem Vorgang des Einsaugens benommen.
    Sie spricht mir aus der Seele. Auf diese Weise fühle ich mich: von Julia benommen. Was soll ich nur tun? Betony erzählt, dass sie raucht, weil sie

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