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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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zusammenhangslos aus einem Band expressionistischer Lyrik, doch es stellt sich dann heraus, dass sie lediglich vorliest, was ich ihr in der vergangenen Nacht per SMS zukommen ließ.
    Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, mein Unglück zu beschönigen, und da Erin und ich ein Abkommen geschlossen haben, das da lautet: Julia Speer ist gut Punkt wer das bezweifelt oder gar negiert wird gnadenlos exkommuniziert –, schenkt sie sich ihrerseits jeglichen Kommentar und informiert mich, dass Betony Vernon in der Stadt ist. Und damit gibt sie sich als wahre Freundin zu erkennen. Ich schicke Betony eine Nachricht, dass ich sie sehen will, dringend, denn es geht mir sehr schlecht, die sie nach wenigen Minuten beantwortet, sodass ich mir den Vormittagswettbewerb sparen werde und mir ein Taxi nehmen kann ins Marais. Erin und ich haben Mrs Vernon im Herbst vor zwei Jahren kennengelernt. Das war während der mehrtägigen Recherchen zu einer Geschichte, die sehr viel später unter dem schönen Titel Carine Roitfeld – zwei oder drei Tage im Leben einer Chefredakteurin der Paris Vogue erschienen war. Sie hatte uns mitgenommen zu einem Fotoshooting, bei dem eine Balenciaga-Kollektion inszeniert werden sollte, für die Nicolas Ghesquière sich seine Anregungen nicht wie sonst üblich auf dem Flohmarkt am Porte de Clignancourt geholt hatte, sondern bei der Turnierkluft der Florettfechter. Frau Roitfeld schwebte eine zusätzliche Perversion dieser an Prothesen und Zwangsjacken erinnernden Mode vor, die sie durch ein Zusammenbinden und Verdrehen der Gliedmaßen ihrer Models zu erreichen gedachte. Als Fesselkünstlerin war Betony Vernon gebucht: die faszinierende Erscheinung einer Frau, um einiges größer als ich, rothaarig, mit sehr runden, festen Brüsten und einem sehr hübschen Gesicht, dessen leichte Asymmetrie sie durch einen asymmetrischen Pony betont. Ich hatte mich bis dahin nie wirklich für Bondage interessiert. Für mich war diese sogenannte Szene mit den Peitschen und den Böcken und den aufgemalten Augenbrauen mit etwas Billigem behaftet. Aber erstens sieht sie um Klassen anders aus. Und als ich Mrs Vernon dabei beobachtete, wie sie mit ihren aus langen Seidenbahnen gewundenen Kordeln die menschlichen Körper in Fechtkluft zu Origami verarbeitete, wurde ich von dem heiligen Ernst, mit dem sie zu Werke ging, bestrickt. Ich hatte mich damals nicht getraut, sie anzusprechen. Ihre Arbeitskleidung bestand eben nicht aus diesen lächerlichen Korsettklamotten, wie man sie auf den Pornoseiten sehen muss, sondern war ihr aus matt schimmerndem Leder auf den Leib geschneidert. Man erklärte uns, dass sie einen sogenannten Salon betrieb namens Paradise Found. Sie war Amerikanerin, Tochter eines alleinerziehenden Hubschrauberpiloten, hatte das Goldschmiedehandwerk erlernt, um seltsame, kleine Objekte herzustellen, die sie Interfaces nannte, Schnittstellen,und eben nicht Sex Toys. Die Interfaces bestehen aus reinem Silber. Nur dieses Metall hat die unerklärliche Eigenschaft, sich beim Kontakt mit dem Körper um ein wenig mehr aufzuwärmen als die Temperatur der jeweiligen Person. Das alles erfuhr ich, weil ich ihr damals auf meiner roten Olivetti einen Brief geschrieben hatte, in dem ich sie um Aufnahme in ihren Salon bat. Wie sie mir bei meinem ersten Besuch in Paris erzählte, fand sie die Idee, auf einer Schreibmaschine zu tippen, wie auch meine schüchternen Formulierungen derart kinky , dass sie mich nicht ablehnen konnte. Ich sitze ihr gegenüber in dem grün tapezierten Empfangsraum in dem uralten Hinterhaus, das vor ein paar Hundert Jahren mal ein Kloster war. Ein sehr kleines Kloster wohl, für nur wenige Nonnen, es gibt nicht einmal einen Kreuzgang. Das Studio der Fotografin Bettina Rheims ist in einem ähnlichen Bau nur zwei Straßen weiter untergebracht. Die beiden russischen Frauen, die aufbrachen, als sie mich einließ, haben eine üppige Bonbonniere hinterlassen. Obwohl wir uns schon ein paar Mal getroffen haben, weiß ich noch immer nicht genau, was Betony mit ihren Kunden eigentlich macht. Sie sagt: I am a Philosopher of Sex and a Technician of Love.
    Wieso eigentlich wie ein Schlosshund? Ich weine und weine und sie sagt, es ist okay, während sie sich eine Zigarette dreht mit dem Tabak aus dem orangefarbenen Päckchen, das noch immer genauso gestaltet ist, zumindest entspricht das meiner Erinnerung, wie damals, vor 25 Jahren, als ich mit dem Zeug das Rauchen angefangen habe. Auf dem Feldweg hinter dem Haus meiner

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