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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Flugzeuge hoben ab und ich hing im Schatten herum wie ein Fragezeichen und litt, so als sei das auch bei bestem Wetter nicht nur erlaubt, sondern: möglich. Warum denn bloß?
    Weil das nun mein neues Leben war. Herrlich! Weil das Kaputte mir über ein Jahr und so lange hinterhergekrochen war, bis es mich vom Fahrrad reißen konnte. Nachts.Und dann auch noch in Australien. Bis zu dem Moment war es zu ahnen, andere hatten vielleicht Nachricht, dass. Aber nun war es mir anzusehen: wie gar nicht schön kaputt ich war. Mindestens genau so, wie ich aussah, fühlte ich mich ja schon seit über einem Jahr. Die Haut als Spiegel der Seele – einst schrieb ich über Beauty. Jenseits des Großen Wassers. Als ein anderer, als der ich nun war.
    Das Malen ihres Initials auf die mittelalterlichen Fassaden von Cagnes-sur-Mer sah gut aus beim Machen und es half mir auch noch danach. Das Malen ihres Anfangsbuchstabens in Herzen eingepasst an die Kaimauer, auf ausgewählte Kiesel am Strand, half. Ich ritzte ihren Buchstaben mit dem Zeh in den festen Sand vor der schäumenden Brandung. Es rührte mich, dabei zusehen zu müssen, wie das J verschwand. Das Malen half. Das Denken an Julia half wie auch das Nichtansiedenken – das ja auch ein ganz ihr gewidmetes war. Aber all dies half wie gesagt nur, es half gerade mal dazu, mit dem Schmerz leben zu können, nicht mehr aufgeben zu wollen, weil ich es nicht mehr zu ertragen können fürchtete. Aber der Schmerz blieb bei mir und er war noch immer derselbe wie einst.
    Im Flugzeug hatte mir Holm erzählt, dass er sich eines Nachmittags – da sei er stocknüchtern gewesen – mit einem Messer den kleinen Finger seiner linken Hand abgeschnitten hatte, weil er den Schmerz des Vermissens nicht mehr ertragen konnte. Nicht nur aus Furcht vor dem es nicht mehr ertragen Können, der Schmerz hatte seine Defense Line durchstoßen, Holm hielt es nach eigenen Worten konkret nicht mehr aus. Ich hatte immer wieder hingesehen, auf die irritierenderweise fehlenden Glieder seiner Hand, so waren wir im Gespräch darauf gekommen. Und dass ich mich zuvor gefragt hatte, ob Holm wohl schon einmal verliebt gewesen war, verliebt so wie ich, und das hatte uns dann wohldarauf gelenkt. Holm hatte die Frau, die seinen Finger verschlang, nie wieder gesehen. Ich befand mich in einem Flugzeug auf dem Weg zu Julia hin (was die Frau mit dem Baby derart rührte, dass sie in Tränen ausbrach). Julia hatte mir von Holms Ausstellung erzählt, an deren sogenannter Finissage sie kurioserweise an jenem Abend, an dem mir das mit dem Unfall passierte, mit Frederick erschienen war. Um den Besuch der Ausstellung mit dem Titel Mein Letztes Jahr hatte sie sich an jedem neuen Tag gedrückt, an dem sie an der Galerie vorbeigekommen war. Und das war häufig gewesen, denn die Galerie lag an der Darling Street, auf dem Weg zwischen ihrem Haus und dem Auntie Pasta auf halber Strecke. Deswegen hatten wir auch nur wenig Zeit für unser Treffen gehabt. In den Räumen der Galerie hatte der behandschuhte Künstler in Vitrinen und auf Tischen unter Glas ausgebreitet eine katalogifizierte Sammlung von Gegenständen und Dokumenten des fiktiven letzten Jahres seines Leben aufbauen lassen. Frederick hatte diese Idee wohl beeindruckend gefunden. Überzeugend auch, irgendwie ansteckend. In der Wahl des Zeitraumes sei man doch letztendlich flexibel, am Prinzip änderte das nichts. Das ließe sich ausprobieren. Er schlage beispielsweise einen Tag auf Probe vor. Dazu kam es nicht.
    Selbst nach der Operation und der Entlassung aus dem Krankenhaus habe ich Julia immer wieder gesehen. Doch dabei, beim Sehen, blieb es dann auch. Wie im Märchen waren wir beide verwandelt worden: Mein Gesicht war auf der einen Seite zur vagen Form einer Herzhälfte angeschwollen, farblich vom Gelblichen ins Purpur changierend. Die gesunde Hälfte sah traurig drein. In den Gesprächen, die wir da führten, kamen wir uns sehr nah. Näher als je zuvor, und einmal ist Julia sogar bewusstlos geworden. Wir fühlten, wir hatten uns neu in einander verliebt. Noch einmal, diesesMal ging es tiefer und um alles. Aber mir war, als hätte ich mich nach meiner Verwandlung in einen Vogel verliebt, der einen Schnabel hatte und keine Hände mehr. Was Julia von mir forderte, war Freundschaft. In der Sprache der Liebe. So würde unsere Verbindung nie abreißen können. Aber ich vermisste sie. Was vermisste ich? Standen wir doch im ständigen Austausch. Doch die Fotos, die wir uns zeigten, ließen

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