Untitled
an die Opfer der Katastrophe in Japan), von dem ich sechs Stück besaß, dazu die einzige Hose, die ich kannte, die mit Camouflagemuster bedruckt war und trotzdem perfekt geschnitten. Danach hatte ich schon so lange gesucht: diese schöne Art der Musterung komplett herausgelöst aus dem Kontext des Militärischen, der Gewalt und der Anbrüllerei, die mich dort abstieß. Hardy Blechman, dem Maharishi gehörte, hatte mich vor einpaar Jahren für die Schönheit der Camouflagemuster eingenommen. Mit seinem grundlegenden Werk Disrupted Pattern Material – wo auf Tausenden von Seiten nichts anderes zu sehen war als die Mannigfaltigkeit der Camouflage (allerdings fehlte die Sankt-Georgs-Darstellung Albrecht Altdorfers). Das Farbgespritze hatte ich mir – wie alles, wie jeden – heftiger ausgemalt. In meiner Vorstellung wäre diese Kluft bald von bunten Spritzern bedeckt worden. Die Vorstellung hatte mir gefallen, denn es war eine der Kombinationen, die ich gemeinsam mit Julia besaß. Einmal war ich den beiden zufällig an einem Flughafen begegnet, da waren wir beide mit dieser Kombination bekleidet gewesen und ich hatte mich dabei ertappt, wie ich, Julia ansichtig geworden, ihr eine SMS tippen wollte, ob ich sie ansprechen durfte. Die Begrüßung geriet dann aber herzlich, mit hervorgestreckten Händen. Und mitten im Geplauder warf sich Julia mir um den Hals und gab mir zwei lange Küsse auf die Haut zwischen Wange und Ohr. Und er fuhr fort im Text. Das war nach dieser Party in Saschas neuer Wohnung gewesen, wo Julia und ich zu From Here We Go Sublime von The Field getanzt hatten. Und wir waren die Einzigen, die das konnten. Dazu tanzen. Alle anderen glaubten, dies sei eine alte Platte, plus die hätte einen Sprung – wir kannten das ja und wussten: Gerade das fanden wir toll daran. Worauf eine im Türrahmen, die der Weltraumpolizistin im Fünften Element sehr ähnlich sah, noch feststellen wollte: Wenn man dazu tanzen kann, dann kann man zu allem tanzen.
Was wohl wahr war.
Bei unserer Begegnung am Flughafen konnte ich das noch nicht sehen, aber nach ein paar Tagen wurde mir klar: dieses Paar hatte, jeder für sich und somit gemeinsam, dasselbe beschlossen: Den undurchdringlichen Themenkomplex zu meiden, ihn absterben und verhornen zu lassen wie ein Geweih, das nach innen wächst. Frederick und Julia pflegten auch ihren Musikgeschmack jeweils für sich. Gemeinsam hörten sie dann immer Songs, die einer von beiden nicht mochte. Die Musik, die wir gemeinsam liebten, bewahrte sie in ihrem iPhone auf. Julias Entscheidungsfreiheit erstreckte sich auf dieses Gerät, das sie stets in ihrer Hosentasche bei sich trug. Und das war eine Menge. Seit Kurzem verwendeten wir eine App für Chirurgen, mit der diese kurze Diktate an ihre Sekretärinnen mailen konnten. Wir übertrugen uns damit die Geräusche des Morgens. Was wir erlebten, erschien als der Zeit enthoben. Bei mir stürmte es, dass die Dachziegel klackerten, und auf ihrer Schulter saß ein Schmetterling.
In meinem Leben war bislang die Nachtigall der Trennungsvogel gewesen. Immer, wenn eine Beziehung vor das endgültige Aus geraten war, gab es in den Stunden zuvor eine Szene, in der ganz plötzlich eine Nachtigall zu hören gewesen war. Und der wir jeweils dann ergriffen lauschten. Als auf einen der Soundfiles von Julia ein Spritzer Nachtigallengesang gelangt war, dachte ich: Bitte nicht.
Es war Maxims Idee, dass ich für eine Weile fortmüsste. Wirklich wo ganz anders hin. Wo mich nichts an unsere Zeit in Berlin erinnern konnte – es sei denn, was ich mit mir trug –, aber die ganze Stadt sei doch wie infiziert.
Das war so. Selbst Orte, an denen ich noch nicht mit ihr gewesen war, waren mittlerweile zu bestimmten Orten geworden, an denen ich noch nicht mit ihr gewesen war. Als Maxim mir das Familienheim an der Côte d’Azur anbot, bedankte ich mich. Auch weil mir Südfrankreich als der richtige Ort erschien, um meinem Schmerz wie der Sehnsucht einen Ausdruck zu geben. Dieses Bild zu malen. Und auch von dem Leben dort her. Mit den sagenhaften Aufgangszeremonien des vergrößert erscheinenden Vollmondes über dem Küstengebirge. Der Himmel in schrillen Purpurtönen und der Mond davor honiggelb. Die Winde vom Meer her. Das Glitzern vor dem Fenster. Dass an den Friseurgeschäften stand Masculin – Feminin. Und unter dem einen an der Kurve dort gegenüber dem Jazzklub: Avec ou Sans Rendez-Vous. Des ersten Gedankens wegen, wenn ich dort erwachte; des Krispelns der
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