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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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öffnete es gerade so viel, wie nötig war, um hindurchzuschlüpfen, und ging hinein.
      Zuerst sah er nichts, geblendet von dem Gegensatz zwischen dem Licht draußen und dem Dunkel drinnen. Er blieb mit dem Rücken zum Tor stehen und wartete ab, bis er wieder etwas sehen konnte. Aber das kostete zu viel Zeit, und Zeit war etwas, das er nicht hatte. Was, wenn, nur einmal angenommen, Maria Stella auf der Suche nach ihm war? Er mußte sich beeilen.
      Er streckte beim Gehen die Arme aus, wurde aber durch ein Hindernis aufgehalten, das sich in Höhe seines Bauches befand.
      Jetzt sah er verhältnismäßig gut. Er war gegen eine Holzbank gestoßen, die lang war und breiter als normal. Auf sie hatte man den Körper gelegt. Doch bevor er ihn noch richtig sah, nahm der kleine Luigi den Gestank wahr, der von dieser Leiche ausging, etwas, das halb nach verfaultem Obst und halb nach Toilette roch, nachdem man sein Bedürfnis verrichtet hatte. Es schlug ihm auf den Magen.
    Er strengte sich an und sah genau hin.
    Das Licht war schwach, es fiel durch einen Spalt oben in der Turmmauer. Wer weiß warum, aber das erste, was ihm auffiel, waren die Schuhe ohne Schnürsenkel, klobig wie die von Bauern und verschlissen. Dann der Kopf: völlig kahl, ohne auch nur eine Andeutung von Haar. Und der Gesichtsausdruck: reglos, die Augen waren geschlossen, doch der Mund stand offen, war zu einem schrägen Grinsen verzogen und zeigte lange, gelbe Pferdezähne. Der Bart: ein struppiges Schwarz-Weiß. Ein Arm berührte den Boden mit der Hand, der andere war über der Brust verschränkt.
      Luigino war enttäuscht: das da war ein Toter? Ein ›Etwas‹, das stank, ein träges Gewicht (ein schauerliches Hindernis wird er viele Jahre später schreiben).
      Und genau in diesem Augenblick hörte er ein Flügelrauschen. Eine Taube, ganz sicher. Und fast so, als hätte er das Bedürfnis nach etwas mehr Lebendigem verspürt, richtete er die Augen nach oben, zur Decke, die völlig aus den Fugen war. Er besaß zwar den scharfen Blick eines Jungen von wenig mehr als zehn Jahren, doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte die Taube nicht sehen. Indessen ging dieses Flügelrauschen nicht nur weiter, sondern nun war auch noch ein Gurren dazugekommen, eines, das ganz dem von Tauben entsprach. Und wenn sich die Taube nun doch nicht dort oben befand, zwischen den Deckenbalken, sondern auf die Erde gestürzt war und einen gebrochenen Flügel hatte? Luigino senkte den Blick und schaut sich nach allen Seiten um.
    Da sah er sie. Einen Mann und eine Frau, sie mußte eine Dame sein, denn sie trug einen Hut, und die beiden tanzten einen eigentümlichen Tanz. Sie stand, im dunkelsten Teil des Turms, mit dem Rücken zur Wand und hielt ihren Rock und ihren gestärkten Unterrock hoch. Und das war es, was Luigino mit dem Flügelrauschen verwechselt hatte, das leichte Schleifen, das jedesmal zu vernehmen war, wenn der Mann, der die Frau in seinen Armen hielt, seinen Körper gegen ihren stieß. Und das Taubengurren drang verhalten aus dem Mund der Frau, die ihre Augen schlitzartig verengte, dann schloß, mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen. Und auch der Mann schien bei jedem Stoß, den er während dieses seltsamen Tanzes ausführte, Schmerz zu empfinden, denn mitunter machte er »Ah! Ah!«, einen Klagelaut, als würde er leiden.
      Luigino stand da und sah ihnen eine Weile zu, seine Blicke hierhin und dorthin richtend.
      Wieso tanzten die beiden da vor einem Toten und waren so in ihr Vergnügen aufgegangen, daß sie nicht einmal merkten, daß jemand da war, auch wenn der nur ein kleiner Junge war, der sah, was sie da machten?
    Dann kam es ihm vor, als würde der Fensterspalt
    plötzlich aufgerissen, als würde ein Erdbeben vorüberziehen, und ein blendendes Licht drang in den Turm. Luigino fühlte seine Knie weich werden, es durchfuhr ihn fröstelnd, als er begriff, daß dieser Mann da und diese Frau gar nicht tanzten, sondern das machten, was Maria Stella ihm vor zwei Abenden erklärt hatte. Und sie waren mit Sicherheit auch nicht verheiratet, denn das Hausmädchen hatte ausdrücklich darauf bestanden, daß ein verheiratetes Paar diese Dinge nur bei Nacht in ihrem Schlafzimmer mache.
    Er ging vorsichtig rückwärts, öffnete das Tor, kehrte in sein Zimmer zurück und schlüpfte ins Bett. Er merkte, wie er Fieber bekam, der Gestank des toten Körpers war in seine Haut gedrungen.

    DAS BRANDMAL

    Das, was er in dem kurzen Augenblick, den er dort

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