Untitled
erfuhr sie eine unnachsichtige, wenn auch freundliche Zensur von Seiten ihres Herausgebers Renato Simoni.)
Die Unumkehrbarkeit der Erfahrung des kleinen Luigi im Turm wird in einer bestimmten Weise noch totaler durch die Lehre, die er daraus zieht.
Er hatte eine Übertretung wagen wollen, diese
Übertretung hat ihn die Bekanntschaft mit dem Tod machen lassen, mit der Sünde, mit dem Sakrileg (einem, das weitaus schwerwiegender war als ein paar Schüsse auf Kirchenglocken), doch diese Bekanntschaft hat sich automatisch als Strafe für eben diese Übertretung herausgestellt.
Kennen wollen, wissen wollen bekommt im Sizilianischen die Färbung von ergründen, erfragen. Und oftmals wendet sich die ergründete Wirklichkeit gegen den Ergründenden.
SCHULWECHSEL
Wie man es so hält in den Familien ›zivilisierter‹ Menschen, was bedeutet: im mittleren Bürgerstand und dem Kleinbürgertum, wird auch Luigino nicht bei den staatlichen Schulen angemeldet (die privaten gehören religiösen Orden und kommen daher für Don Stefano nicht in Frage). Die ›zivilisierten‹ Menschen befürchten den Kontakt zwischen ihren Kindern und denen des einfachen Volkes, denen der Fuhrleute und Hafenarbeiter, die sich den Luxus erlauben können, einen Sohn auf die Schule zu schicken. Die Kinder der untersten Schichten, ans Leben auf der Straße gewöhnt, können den anderen ja unanständiges Zeug beibringen, ihnen schlimme Gedanken in den Kopf setzen.
Der kleine Luigi lernt zu Hause mit dem Lehrer Fasulo, den er so beschreibt (ihn aber Pinzone nennt):
Ich sehe ihn noch vor mir, gekleidet in elendes Grau, mit einem alten ausgeblichenen Hut…
Doch das eigentliche Elend bestand ganz sicher im Unterricht von Lehrer Fasulo, nicht so sehr in seiner Kleidung. Monatelang läßt er den Schüler die Hefte voller Striche zeichnen, und als der kleine Luigi, am Rand einer Nervenkrise stehend, rebelliert, verteidigt sich der Lehrer Donna Caterina gegenüber mit der wahrscheinlich wirklich ernst gemeinten Ansicht, daß der Kleine ihm ›begriffsstutzig‹ vorkomme. Die Mutter stellt sich auf die Seite des Lehrers, und auf Luiginos Proteste reagiert sie mit heftigen Schlägen auf seinen Hintern, womit sie nach dem volkstümlichen Sprichwort verfährt »Mit dem Hintern erlernt man den Buchstaben«, was bedeuten soll, daß man lesen und schreiben nur mit Schlägen auf den Hintern erlernt.
Wie um den bescheidenen Unterricht seines Lehrers Fasulo wettzumachen, möchte der kleine Luigi, sobald er dazu in der Lage ist, sich mit Lesen beschäftigen, doch die Bibliothek im Haus beschränkt sich ingesamt auf vier oder fünf Bände: die Bibel, Die Schlacht von Benevent und ein paar Romane von Walter Scott.
Und dies war, soweit es dazu dienen konnte, einer der vielen Gegenbeweise für seine Überzeugung, daß er sich in einem vertauschten Haus befand.
»Die Erziehung, der Unterricht, die Vorbereitung auf das
Leben für die Kinder gestalten sich nach einem clichéhaften Grundmuster, das von den Gewohnheiten festgelegt worden ist. Die persönlichen Neigungen werden geringer berücksichtigt als anderswo… in der entscheidenden Phase der Erziehung schafft der Widerspruch zwischen dem Willen der Eltern und den Neigungen der Kinder ernsthafte Schwierigkeiten, vor allem im Herzen eines jungen Menschen«, schreibt Sebastiano Aglianò, und genau so ist es auch für den kleinen Luigi gewesen.
Nach Abschluß des Grundschulpensums zu Hause wird Luigino von Don Stefano in die Oberrealschule von Girgenti eingeschrieben. Der Vater ist überzeugt, daß Luigi, mit einem Handelsdiplom in der Tasche, ihm konkret bei seiner Arbeit helfen kann.
In einem autobiographischen Fragment von 1893 wird Pirandello sich erinnern: alle diese Zahlen, alle diese Regeln, diese ganze strenge Ordnung der Mathematik widerstrebten meinem Wesen.
Es mag durchaus stimmen, daß Luigino sich in dieser strengen Ordnung der Mathematik nicht wohl fühlte, aber sicher ist auch, daß zu seiner Unzufriedenheit, in der Oberrealschule zu sein, sein verletzter Stolz beitrug, bei der Wahl der Schule völlig übergangen worden zu sein, und ein noch sehr viel wesentlicherer Grund: wenn er es sklavisch hinnahm, sich mit dem Willen und dem Wunsch Don Stefanos zu identifizieren, würde dies damit in bestimmter Weise die Zugehörigkeit zu dieser Familie besiegeln und dem vertauschten Sohn die Möglichkeit versagen, sich als solchen zu verstehen.
Er widmet sich mit
Weitere Kostenlose Bücher