Untitled
war, im verfallenen Turm gesehen hat, wird Luigi für sein Leben zeichnen.
Leonardo Sciascia schreibt:
»Immer wird die Liebe bei Pirandello diesen Geruch von Tod haben. Nicht die Vorstellung von Tod, sondern die physische verwesende Gegenwart des Todes… Und niemals gibt es eine Frauengestalt, die, so schön sie auch sein mag, der Autor nicht mit einem mehr oder minder offensichtlichen Hauch von Widerwärtigkeit ausstattet.«
Widerwärtigkeit, die bisweilen auch mehr ist, ein nicht nur auf die Frau beschränktes Entsetzen, sondern auf den Körper an sich, und wenn es eine Anziehung gibt, ist es eine ›Anziehung des Ekels‹, die unvermeidlicherweise in den Abscheu vor der gegenseitigen Besudelung mündet.
Nach und nach war der Abscheu vor seinem Körper, den sie in all jenen unauslöschlichen Bildern sah, die während des Bekenntnisses seiner Schändlichkeiten in ihrer Phantasie e rwacht waren, Abscheu vor ihrem eigenen Körper geworden (aus: Die Pein, so zu leben; Lapena di vivere cosi).
Und weiter:
Da stand sie vor mir; mit einer Hand packte sie meine Haare; sie setzte sich auf meine Knie, ich spürte das Gewicht ihres Körpers. Wer war sie? Kein Zweifel in ihr, daß ich wüßte, wer sie sei. Und ich fühlte unterdessen das Entsetzen vor ihren Augen, die mich gespannt und völlig sicher ansahen; Entsetzen vor ihren kühlen Händen, die mich berührten, in der Gewißheit, daß ich wäre, wie ihre Augen mich sahen; Entsetzen vor diesem gesamten Körper, der mir auf den Knien lastete, zuversichtlich über die Hingabe, die er mir von sich gewährte…
Aldo Giorgio Gargani hat geschrieben, daß »niemand so sehr dem Tod unausgesetzt von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht wie ein kleines Kind«, auch wenn das Kind die Bedeutung des Wortes ›Tod‹ notgedrungen erst sehr viel später verstehen lernt.
Doch in diesem Fall kann die chronologische Abfolge nur bestritten werden, denn Luigino befindet sich gleichzeitig vor dem Wort und seiner Bedeutung. Und ebenso vor der in diesem Zusammenhang stehenden Profanierung des Todes durch das Leben, eine Profanierung, die ihr Ziel uneingeschränkt erreicht, das darin besteht, den Tod selbst als etwas Schmutziges erscheinen zu lassen, und gleichzeitig, wie das bei kommunizierenden Röhren geschieht, läßt diese Schmutzigkeit die provozierende Geste, nämlich den Geschlechtsakt, verblassen und befleckt sie.
Etwas, das nichts mit der Eros-Thanatos-Beziehung zu tun hat.
Im Leben ebenso wie im Tod wird der Körper zu e inem schauerlichen Hindernis, ohne jede Heiligkeit in der Art und Weise, wie er lebt und wie er stirbt.
Im Grunde glaubt der Sizilianer, daß der Tod ein ›Faktum‹ oder nur wenig mehr ist, eigentlich glaubt er nicht an sein ›Mysterium‹. Den Sizilianer interessiert allerdings die Form, fast würde ich sagen: die Förmlichkeiten des Todes, der Ritus, das Gepränge, die Beisetzungszeremonien, mit einem Wort: die Inszenierung, die Darstellung des Todes.
In seinen Romanen und Novellen verweilt Pirandello oft bei den nicht eben angenehmen Details eines verwesenden Körpers, gelegentlich steigert sich das bis zum Spott.
Wie in der Novelle Der große Verblichene (L'illustre estinto), wenn sich die höchsten Notabein der Politik, vom Regierungschef abwärts, auf den Weg machen, um dem Leichnam des Abgeordneten Costanzo Ramberti, des Verblichenen von hohem Ansehen, die letzte Ehre zu erweisen.
Nur geschah ausgerechnet im feierlichsten Augenblick,
als der Parlamentspräsident, der Ministerpräsident und alle Minister und Staatssekretäre, die Abgeordneten und die Menge der Neugierigen mit entblößtem Haupt den Aufbahrungsraum betraten, etwas, das der Abgeordnete Ramberti sich niemals auszumalen vermocht hätte. Etwas Entsetzliches in der beinahe heiligen Stille dieser Szene: ein plötzliches, unheilvolles, maßloses Grollen im Bauch des Toten, das wie ein Donner klang und alle Umstehenden erstarren ließ. Was war das gewesen?
»Digestio post mortem«, seufzte in würdigem Latein einer von ihnen, ein Arzt, kaum, daß er wieder ein bißchen Luft bekam.
Und die anderen starrten fassungslos auf den Leichnam, der sich das Gesicht mit dem Tuch bedeckt zu haben schien, um s ich ohne Scham so etwas vor den höchsten Vertretern der Nation erlauben zu können. Und mit finsteren Gesichtern verließen sie alle den Aufbahrungsraum.
(Bevor diese Novelle in der Zeitschrift ›Lettura‹ veröffentlicht wurde,
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