Untitled
alles für bare Münze nehmen kann, was Don Stefano erzählt, ist klar, daß Luigi Partei für den Vater ergreift und sich mit einem seiner typischen Wutausbrüche sogar weigert, Lina weiterhin als seine Schwester zu bezeichnen, ihr sogar sehr kleinlich die Ausgaben vorrechnet und implizit vorwirft, sie würde noch Geld davon abzweigen.
Aus diesem Brief geht deutlich hervor, daß alle römischen Ausgaben für den Vater, einschließlich des Essens, des Arztes und der Krankenschwester, alleine Luigi trug: Lina hatte ein kleines Zimmer in ihrer Wohnung zur Verfügung gestellt, das sie von Zeit zu Zeit in eine Abstellkammer verwandeln wollte, womit sie Don Stefanos Zorn herausforderte. In Luigi scheint bittere Ironie mitzuschwingen, wenn er seinen Vater, in Anführungszeichen, als Autor meiner Tage bezeichnet, aber der Kern seiner Aussage ist ein einziger: er wird es nicht zulassen, daß Don Stefano in ein Altersheim eingeliefert wird, er will nicht, daß er unter fremden Menschen stirbt. Andererseits muß eine Lösung gefunden werden, die Wohnung ist zu klein, sie bricht schon aus allen Fugen: dort wohnen Luigi, sein Sohn Stefano mit seiner Frau Olinda und das Neugeborene, Fausto und der gerade dazugekommene Don Stefano. Wenige Zeilen später teilt Luigi der Tochter seine Absicht mit, eine Wohnung zu kaufen, um dort mit seinem Vater und mit Fausto zu wohnen, weil Stefano mit seiner Familie in eine andere Wohnung ziehen will. Luigis Absicht ist klar: den Vater bei sich behalten oder ihn allenfalls bei einem anderen Verwandten unterbringen, der in der Lage ist, ihn bei sich als Gast aufzunehmen. Für diesen zweiten Fall versteht es sich von selbst, daß sämtliche Kosten Luigi übernehmen würde.
19. Januar 1923:
Ich habe meinen Vater wieder bei mir zu Hause, ich glaube, ich habe es Dir in meinem letzten Brief gesagt und auch die Gründe dafür genannt. Ich habe alle Beziehungen zu denen unten abgebrochen. Ich habe Onkel Giovanni für einen Familienrat aus Siena kommen lassen, der zu nichts geführt hat, denn wir waren übereinge kommen, an Tante Annetta zu schreiben und sie zu bitten, Nonno bei sich aufzunehmen für einen Monatsbetrag von 650 Lire, doch Tante Annetta antwortete mir, daß sie nicht könne, und zwar aufgrund des überaus traurigen Gesundheitszustands ihres Mannes, der sie zwinge, ihre ganze Pflege ihm zukommen zu lassen. So ist Nonno bei mir geblieben und schläft in Deinem Zimmerchen, das Fausto ja einmal in Beschlag genommen hatte, der sich zum Schlafen auf eine Metallbespannung in seinem Atelier geworfen hat, sich dabei aber der Gefahr aussetzt, sich durch die Farbausdünstungen zu vergiften. Zu Hause ist alles, wie Du Dir vorstellen kannst, alles drunter und drüber, auch wegen der Geburt des Mädchens, das alle auf Trab hält und nachts häufig schreit, weshalb keiner schlafen kann, auch wegen der Hellhörigkeit der Wohnung. Auch wenn Nonno nicht da wäre, könnte Fausto gewiß nicht im Nebenzimmer schlafen. Ich habe es drei Nächte lang probiert, und ich habe kein Auge zumachen können. Nonno ist taub und hört nichts. Aber so kann es nicht weitergehen.
Unterdessen ist es das erste Mal, daß Luigi in diesem Brief Don Stefano Vater nennt, wohingegen er ihn in den vorausgegangenen, auch weil er an seine Tochter schreibt, Nonno nennt. Nicht einmal im Traum fällt es ihm ein, den endlich wiedergefundenen Vater wegzuschicken, Fausto soll sich für den Augenblick arrangieren, schließlich kann es so nicht weitergehen.
Aber es geht weiter:
5. Juli 1923:
Nonno geht es weiterhin einigermaßen gut. Aber er wird von Tag zu Tag unleidiger.
3. August 1923:
… Nonno, dem es mit seinen 88 Jahren äußerst gut geht…
Es gibt ein Foto gerade aus diesen Tagen des Jahres 1923. Ein schöner sonniger Vormittag. Auf einem Balkon stehend und lächelnd, hält Luigi Stefanos kleine Tochter im Arm, die beglückt lächelt. Neben den beiden lächelt auch Stefano, sein Kopf ist ganz leicht nach vorne geneigt. Vor den dreien sitzt Don Stefano, in einem schweren schwarzen Anzug gekleidet, mit zahnlosem Mund, der zwischen Backen- und Oberlippenbart halb verdeckt ist, mit Brille, den Kopf leicht gegen eine Schulter geneigt, beide Hände auf dem Stock. Wenn man genau hinsieht, lächelt er, der Urgroßvater.
Der Schriftsteller Arnaldo Frateili erinnerte daran, daß Luigi in dieser Zeit die wenigen Freunde dazu überredete, »lange mit dem Vater Karten zu spielen, der, fast schon blind und taub, allerdings
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