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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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sich Unannehmlichkeiten zuzuziehen, wenn er sich nicht vorsieht‹, murmelte der Direktor düster. Ich bemerkte dazu mit geheuchelter Unschuld, auf dieser Welt sei kein
    Mensch vor Unannehmlichkeiten sicher.
      Die Strömung wurde jetzt stärker, der Dampfer schien am Ende seiner Kräfte angelangt, das Heckrad klatschte träge, und ich ertappte mich dabei, wie ich gespannt auf seinen nächsten Schlag wartete, denn die nüchterne Wahrheit war, daß ich jeden Augenblick damit rechnete, das erbärmliche Ding könnte versagen. Es war, als sähe man den letzten Zuckungen eines Lebewesens zu. Doch noch immer krochen wir weiter. Manchmal visierte ich einen Baum etwas voraus an, um die Geschwindigkeit unserer Reise zu Kurtz abzuschätzen, doch ich verlor ihn unweigerlich aus dem Auge, noch ehe wir in gleicher Höhe mit ihm waren. Den Blick so lange auf ein einzelnes Ding gerichtet zu halten war zuviel für menschliche Geduld. Der Direktor legte eine schöne Resignation an den Tag. Ich verzehrte mich und kochte innerlich und begann mich zu fragen, ob ich offen mit Kurtz reden solle oder nicht; doch ehe ich zu einem Entschluß gelangen konnte, fiel mir ein, daß mein Reden wie mein Schweigen, ja eigentlich jede meiner Handlungen völlig zwecklos sein würde. Kam es denn auf das an, was jemand wußte oder nicht wußte? Kam es darauf an, wer Direktor war? Manchmal hat man solche blitzartigen Einsichten. Das Wesentliche dieser Geschichte lag tief verborgen unter der Oberfläche, meinem Verständnis entzogen und auch meiner Einflußnahme.
      Gegen Abend des zweiten Tages schätzten wir uns ungefähr noch acht Meilen von Kurtzens Station entfernt. Ich wollte weiterfahren; doch der Direktor blickte ernst drein und erklärte mir, die Navigation dort oben sei so gefährlich, daß er es in Anbetracht der bereits sehr tief stehenden Sonne für ratsam halte zu bleiben, wo wir waren, und bis zum nächsten Morgen zu warten. Er wies ferner darauf hin, daß wir, wollten wir die Warnung, uns. vorsichtig zu nähern, befolgen, uns nur bei Tageslicht nähern dürften – nicht in der Abenddämmerung oder gar in der Dunkelheit. Das war nur vernünftig. Acht Meilen bedeuteten für uns eine beinahe dreistündige Fahrt, und ich sah überdies kurz vor der nächsten Flußbiegung eine verdächtige Kabbelung. Dennoch war ich unaussprechlich ergrimmt über den Aufenthalt, und das sehr törichterweise, da eine Nacht kaum ins Gewicht fallen konnte nach so vielen Monaten. Da wir eine Menge Holz an Bord hatten und Vorsicht die Devise war, ging ich in der Mitte des Stroms vor Anker. Der Fluß war an dieser Stelle schmal, schnurgerade, von hohen Ufern gesäumt wie ein Eisenbahndurchstich. Schon lange vor Sonnenuntergang schob sich hier die Abenddämmerung vor. Der Strom lief glatt und schnell, doch an den Ufern herrschte eine stumme Reglosigkeit. Die lebendigen, durch Schlinggewächse miteinander verknüpften Bäume und jeder lebendige Busch des Unterholzes – sie alle hätten bis in ihre schlanksten Zweige, ihr zartestes Blatt zu Stein verwandelt sein können. Es war nicht Schlaf – es wirkte unnatürlich wie ein Trancezustand. Nicht das leiseste Geräusch war zu hören.
      Man blickte sich staunend um und begann den Verdacht zu hegen, taub zu sein – dann brach unversehens die Nacht herein und machte einen obendrein noch blind. Gegen drei Uhr morgens sprang ein großer Fisch aus dem Wasser, und das laute Klatschen ließ mich auffahren, als wäre ein Kanonenschuß abgefeuert worden. Als die Sonne aufging, lag ein weißer Nebel über dem Wasser, sehr warm und klamm und noch undurchdringlicher als die Nacht. Er verschob oder verzog sich nicht; er war einfach da, umgab einen von allen Seiten wie etwas Festes.
      Gegen acht oder neun Uhr hob er sich, wie sich ein Rolladen hebt. Wir taten einen flüchtigen Blick auf die himmelragenden Baummassen, auf den riesigen, verfilzten Dschungel und den glühenden kleinen Sonnenball darüber – alles vollkommen still –, und dann senkte sich der weiße Rolladen wieder, sanft, als gleite er gefettete Kehlen hinab. Ich ordnete an, daß die Kette, die wir gerade einhievten, wieder weggefiert werde. Ehe noch die Kette mit dumpfem Rasseln ausgelaufen war, stieg ein Schrei, ein sehr lauter Schrei, wie unendlicher Trostlosigkeit sich entringend, langsam in die undurchdringliche Luft.
      Er verhallte. Ein in wilden Dissonanzen sich bewegendes Jammergeschrei schlug sodann ans Ohr. Allein schon das Unerwartete dieses

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