Untitled
Finsternis hinwegspricht. ›Doch Sie haben ihn gehört! Sie wissen es!‹ rief sie.
›Ja, ich weiß es‹, sagte ich mit einer gewissen Mutlosigkeit im Herzen, doch verneigte ich mich vor dem Glauben, der in ihr wohnte, vor jenem großen und rettenden Wahn, der mit einer unirdischen Glut in die Finsternis leuchtete, in die triumphierende Finsternis, vor der ich sie nicht schützen konnte – vor der ich nicht einmal mich selber schützen konnte.
›Was ein Verlust für mich – für uns!‹ – verbesserte sie sich mit edler Großmut; dann fügte sie murmelnd hinzu: ›Für die Welt.‹ Im letzten Schimmer des Zwielichts konnte ich den Glanz ihrer Augen sehen, die voller Tränen standen – Tränen, die nicht fallen wollten.
›Ich bin sehr glücklich gewesen – selig – stolz‹, fuhr sie fort.
›Zu selig. Zu glücklich – für eine kurze Weile. Und nun
bin ich unglücklich – fürs Leben.‹
Sie stand auf; ihr blondes Haar schien alles verbliebene Licht in einem Goldfunken aufzufangen. Ich stand ebenfalls auf.
›Und von all dem‹, fuhr sie traurig fort, ›von all dem Vielversprechenden in ihm und all seiner Größe, seinem edelmütigen Sinn, seiner Hochherzigkeit bleibt nichts zurück – nichts als eine Erinnerung. Sie und ich …‹
›Wir werden stets seiner gedenken‹, sagte ich hastig.
›Nein!‹ rief sie. ›Es kann nicht sein, daß all das verloren sein soll – daß solch ein Leben hingeopfert sein soll, ohne etwas anderes zu hinterlassen – als Kummer. Sie wissen, was für gewaltige Pläne er hatte. Auch ich wußte darum – vielleicht verstand ich sie nicht –, doch andere kannten sie. Etwas muß zurückbleiben. Seine Worte wenigstens sind nicht gestorben.‹
›Seine Worte werden bleiben‹, sagte ich.
›Und sein Beispiel‹, flüsterte sie. ›Die Menschen blickten zu ihm auf – seine Güte leuchtete aus jeder Handlung. Sein Beispiel …‹
›Richtig‹, sagte ich; ›auch sein Beispiel. Ja, sein Beispiel. Das vergaß ich.‹
›Aber ich nicht. Ich kann nicht – ich kann es nicht glauben – noch nicht. Ich kann nicht glauben, daß ich ihn nie wiedersehen werde, daß niemand je ihn wiedersehen wird, nie, nie, nie.‹
Sie streckte ihre Arme wie nach einer entfliehenden Gestalt aus, streckte sie schwarz und mit verkrampften blassen Händen über den schmalen, erlöschenden Lichtstreifen des Fensters aus. Ihn nie mehr sehen! Ich sah ihn deutlich genug. Ich werde dieses beredte Gespenst, solange ich lebe, vor mir sehen, und ich werde auch sie sehen, einen tragischen und vertrauten Schatten, der in dieser Gebärde einem anderen Schatten gleicht – tragisch auch er und mit machtlosen Amuletten behängt –, der seine nackten, braunen Arme über das Geglitzer des höllischen Stromes streckt, des Stromes der Finsternis. Sie sagte plötzlich sehr leise: ›Er starb, wie er lebte.‹
›Sein Ende‹, sagte ich, und dumpfer Zorn stieg in mir auf, ›war seines Lebens in jeder Weise würdig.‹
›Und ich war nicht bei ihm‹, murmelte sie. Mein Zorn wich einem Gefühl unendlichen Mitleids.
›Alles, was Menschen möglich war …‹, murmelte ich.
›Ah, aber ich glaubte fester an ihn als irgend jemand sonst – fester als seine Mutter, fester als – er selbst. Er brauchte mich! Mich! Ich hätte jeden Seufzer bewahrt, jedes Wort, jedes Zeichen, jeden Blick.‹
Ich spürte, wie ein Eisesschauer meine Brust umschloß. ›Nicht das‹, sagte ich tonlos.
›Verzeihen Sie mir. Ich – ich habe so lange schweigend getrauert – schweigend … Sie waren bei ihm – bis zuletzt? Ich denke an seine Verlassenheit. Niemand ihm nah, der ihn verstand, wie ich ihn verstanden hätte. Vielleicht niemand, der vernahm …‹
›Bis zu allerletzt‹, sagte ich zittrig. ›Ich vernahm seine allerletzten Worte …‹ Ich hielt erschrocken inne.
›Wiederholen Sie sie mir‹, murmelte sie mit schmerzensvoller Stimme, ›Ich möchte – ich möchte – etwas – etwas, womit – womit ich leben kann.‹
Ich war nahe daran, ihr entgegenzuschreien: ›Hören Sie denn nicht die Worte?‹ Die Dämmerung wiederholte sie in beharrlichem Geflüster rings um mich her, in einem Geflüster, das drohend anzuschwellen schien wie das erste Flüstern eines aufkommenden Windes. ›Das Grauen! Das
Grauen!‹
›Sein letztes Wort – um damit zu leben‹, beharrte sie. ›Begreifen Sie nicht: ich liebte ihn – ich
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