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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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kann nicht schlafend und wachend und beim Essen Flußpferdaas riechen und dabei die ohnehin recht unsichere Herrschaft über das Dasein aufrechterhalten. Abgesehen davon hatten sie ihnen allwöchentlich drei Stück Messingdraht gegeben, jedes ungefähr neun Zoll lang; und das in der Überlegung, sie sollten sich mit dieser Währung in den Dörfern am Fluß die notwendigen Nahrungsmittel beschaffen. Ihr seht, was dabei herauskam. Entweder gab es am Fluß keine Dörfer, oder die Einwohner waren feindselig, oder der Direktor, der sich wie wir übrigen aus Konserven nährte, mit einem gelegentlich eingeschobenen zähen Ziegenbock, wollte den Dampfer aus mehr oder weniger verborgenen Gründen nicht anlegen lassen.
      Wenn sie also nicht den Draht selbst hinunterschluckten oder Schlingen daraus fertigten, um Fische zu fangen, ließ sich nicht ausmachen, was der seltsame Lohn ihnen nutzen sollte. Ich muß gestehen, er wurde ihnen mit einer Pünktlichkeit ausgezahlt, die einer großen und ehrbaren Handelsgesellschaft Ehre machte. Im übrigen war das einzig Eßbare – obwohl es keineswegs eßbar aussah –, was ich in ihrem Besitz bemerkte, mehrere in Blätter gewickelte Klumpen einer Masse, die wie halbgarer Teig von einer schmutzigen Lavendelfarbe wirkte. Von dieser vertilgten sie dann und wann ein Stückchen; doch war es so klein, daß man denken mußte, sie täten es mehr zur Wahrung des Scheins als zu irgendeinem ernsthaften Zweck der Ernährung. Warum sie sich im Namen aller am Hungertuch nagenden Teufel nicht an uns hielten – sie waren dreißig gegen fünf – und es sich wenigstens einmal tüchtig schmecken ließen, wundert mich heute noch, wenn ich darüber nachdenke.
      Sie waren große, kräftige Männer, denen es nicht eigentlich gegeben war, die Folgen ihres Tuns in Betracht zu ziehen – Männer voll Tapferkeit und Stärke, auch jetzt noch, da ihre Haut stumpf geworden und ihre Muskeln nicht mehr hart waren. Ich erkannte, daß hier etwas Hemmendes im Spiel war, eines jener menschlichen Geheimnisse, die aller Wahrscheinlichkeitsrechnung spotten. Ich betrachtete sie mit wachsender Anteilnahme – nicht etwa weil mir zu Bewußtsein gekommen wäre, ich könnte binnen kurzem von ihnen verspeist werden, obwohl ich gestehen muß, daß ich gerade damals gewahr wurde (unter einem völlig neuen Aspekt), wie ungesund die Pilger wirkten, und daß ich hoffte, ja, aufrichtig hoffte, mein Aussehen möchte nicht so – wie soll ich es nennen? – so – unappetitlich sein: eine Spur phantastischer Eitelkeit, die gut zu dem traumhaften Gefühl paßte, das damals meine Tage durchwaltete. Vielleicht hatte ich auch ein wenig Fieber. Man kann nicht beständig mit dem Finger am Puls leben. Ich hatte oft ›ein bißchen Fieber‹ oder einen Anflug von sonst etwas – die spielerischen Prankenhiebe der Wildnis, das einleitende Geplänkel vor dem ernsteren Überfall, der dann auch zu gegebener Zeit erfolgte. Ja, ich betrachtete sie, wie man ein jedes menschliche Wesen betrachtet, neugierig, was ihre Impulse, Fähigkeiten, Schwächen sein möchten, wenn sie auf die Probe eines unerbittlichen physischen Bedürfnisses gestellt würden. Hemmung! Was konnte das für eine Hemmung sein? War es Aberglaube, Abscheu, Geduld, Furcht – oder eine Art primitiver Ehre? Keine Furcht kann sich gegen den Hunger behaupten, keine Geduld ihn überdauern, Abscheu gibt es einfach nicht, wo Hunger ist; und was den Aberglauben, den Glauben und die sogenannten Grundsätze anlangt, so sind sie weniger als Spreu im Wind. Wißt ihr nicht um die Teuflischkeit anhaltenden Hungerleidens, um ihre zermürbende Folter, ihr düsteres und brütendes Ungestüm? Nun, ich habe sie kennengelernt. Sie raubt einem Mann all seine eingeborene Willenskraft, sich dem Hunger anständig zu widersetzen. Es ist wirklich einfacher, Verarmung, Schande und die Verdammnis der eigenen Seele zu ertragen – als anhaltenden Hunger. Traurig, aber wahr. Und diese Burschen hatten obendrein keinen erdenklichen Grund zu irgendwelchen Skrupeln. Hemmung! Ich hätte ebensogut von einer Hyäne Hemmungen erwarten können, die zwischen den Leichen eines Schlachtfeldes umherstöbert. Doch hier stand ich vor einer Tatsache – der Tatsache, die so verwirrend anzusehen war wie der Schaum auf den Tiefen des Meeres, wie das Gekräusel eines unauslotbaren Rätsels, eines Geheimnisses, größer noch – wenn ich es recht bedenke – als der merkwürdige, unerklärliche Klang verzweifelter Trauer bei

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