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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ihm auf dem Eis. Er hob den Block hoch über den Kopf und schleuderte ihn mit voller Wucht in die Grube hinein. Seine Augen funkelten, als er noch einige Sekunden in die dunkle Öffnung starrte und dabei die Hände an seinem schmierigen Mantel abwischte. Dann nahm er seine Harpune auf und ging davon, während Arflane und die anderen die restlichen Eisblöcke in die Grube warfen. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Grube ausgefüllt war und die Flagge mit dem Emblem der Rorsefnes flatterte. Anschließend stieg Manfred Rorsefne auf den Hügel und hielt die Trauerrede. »Der Sohn der Mutter des Eises kehrt in ihren Schoß zurück«, begann er in der traditionellen Art. »Wie Sie ihm das Leben gab, so hat Sie es von ihm genommen, aber er wird in den Ewigkeiten des Eises weiterleben, wo die Mutter Gericht hält. Unvergänglich beherrscht Sie die Welt, unvergänglich sind alle, die Sie zu sich nimmt. Mögen wir dereinst in Ihr Reich aufgenommen werden.«
    Er hatte klar, deutlich und mit einiger Erregung gesprochen.
    Arflane kniete nieder und wiederholte den letzten Satz. »Mögen wir dereinst in Ihr Reich aufgenommen werden …« Die anderen folgten seinem Beispiel, doch sie murmelten die Worte nur beiläufig.

    8

    Arflane wußte, daß Ulrica sich bezüglich des Todes ihres Vaters schuldig fühlte, obwohl sie sich es nicht anmerken ließ. Es war ihr und Manfreds Vorschlag gewesen, ausgerechnet am Todestag ihres Vaters eine Expedition zu starten.
    Arflane konnte ihr diesen Vorwurf nicht machen, denn nichts hatte darauf schließen lassen, daß der alte Rorsefne so rasch sterben würde. Ein Herzanfall hatte seinem Leben ein Ende gesetzt, nachdem er ein Testament diktiert hatte, das am Nachmittag Arflane und den nächsten Angehörigen vorgelesen werden sollte. Pyotr Rorsefne war ungefähr zu dem Zeitpunkt gestorben, als der Landwal die Jacht zerstörte, wenige Stunden nachdem er sich mit Arflane über New York unterhalten hatte. Ulrica saß steif und aufrecht in einem Sessel. Sie hatte ihre Hände in den Schoß gelegt und wartete mit Arflane, Manfred Rorsefne und ihrem Mann in dem Vorraum zum einstigen Arbeitszimmer ihres Vaters. Es war nur ein kleiner Raum, dessen Wände mit den Jagdtrophäen aus Pyotr Rorsefnes Jugendzeit geschmückt waren. Diese Tierköpfe schienen einen muffigen Geruch zu verbreiten, den Arflane unangenehm fand. Jetzt wurde die Tür des Arbeitszimmers geöffnet und Strom, ein verhutzelter alter Mann, der Pyotr Rorsefnes Faktotum gewesen war, winkte sie wortlos hinein.
    Arflane und Manfred Rorsefne bückten sich nach Ulsenns Bahre, hoben sie an und gingen damit ins Arbeitszimmer. Es hatte Ähnlichkeit mit einer Schiffskabine, obwohl das Licht nicht durch die Luken kam. An den Wänden standen bis zur Decke reichende Schränke. In der Mitte befand sich ein großer Schreibtisch aus gelblichem Elfenbein, auf dem ein einfaches dünnes Plastikblatt lag – ein großes Blatt, bedeckt mit rötlichbraunen Schriftzeichen, die wie Blut aussahen. Der alte Mann führte Manfred Rorsefne zum Schreibtisch und verließ dann den Raum.
    Manfred seufzte und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, während er das Testament las. Normalerweise wäre Janek Ulsenn dafür zuständig gewesen, doch das Fieber, das seinem Unfall gefolgt war, hatte ihn geschwächt. Er konnte sich lediglich auf der Bahre aufrichten, um über den Schreibtisch hinwegzublicken und den Cousin seiner Frau zu beobachten.
    »Wie lautet nun das Testament?« fragte er mit schwacher, doch ungeduldiger Stimme.
    »Es ist mehr oder weniger das, was wir alle erwartet haben«, antwortete Manfred, noch immer lesend. Ein Lächeln umspielte jetzt seine Lippen.
    »Warum ist dieser Mann hier?« Ulsenn deutete mit einer Handbewegung auf Arflane. »Er ist in diesem Testament erwähnt, Cousin.«
    Arflane blickte über Ulsenns Kopf hinweg Ulrica an, aber sie weigerte sich, in seine Richtung zu blicken.
    »Lies es laut vor, Manfred«, sagte Ulsenn, sich auf einen Ellbogen stützend.
    Manfred zuckte die Achseln und las: »›Das Testament von Pyotr Rorsefne, Schiffslord von Friesgalt. – Rorsefne ist tot, die Ulsenns herrschen.‹« Er blickte spöttisch auf Janek Ulsenn. »›Mein gesamtes Vermögen sollen zu gleichen Teilen meine Tochter und mein Neffe erhalten. Das Kommando über meinen Schoner Ice Spirit übertrage ich Kapitän Konrad Arflane aus Brershill. Er soll mit dem Schoner auf dem von mir festgelegten Kurs nach New York segeln und wieder nach

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