Untitled
herum!«
Manfred Rorsefne sagte nichts mehr und verließ die Brücke. Arflane verschränkte seine Arme auf der Brust und legte die Stirn in Falten.
11
In der ersten Dämmerung des nächsten Morgens blies ein Blizzard ein riesiges weißes Laken über die Stadtschlucht und wirbelte Schnee auf die einzelnen Decks des Schoners. Der Himmel und die Eislandschaft waren nicht mehr voneinander zu unterscheiden; nur gelegentlich tauchten die Masten der anderen Schiffe auf. Die Temperatur war weit unter Null gesunken. Im Takelwerk und in den Falten der Segel hatten sich Eiskristalle gebildet, die vom Sturm losgerissen wurden und wie Kugeln durch die Luft flogen. Es war fast unmöglich, sich gegen den Sturm zu stemmen. Der Sturm pfiff und jaulte, die Beiboote schwangen und ächzten in ihren Davits.
Als es in der Frühwache zwei Glasen läutete, kam Konrad Arflane aus seiner Kabine unterhalb der Brücke. Sein Gesicht war vermummt, ein Schneeschirm schützte seine Augen. Er ging durch den wirbelnden Flockenschleier zum Bug und blickte geradeaus. Er konnte nichts sehen, kehrte wieder in die Kabine zurück und ging wortlos an Petchnyoff, dem Wachoffizier, vorbei.
Petchnyoff starrte hinter seinem Kapitän her, bis jener die Tür hinter sich geschlossen hatte. Die Augen des Ersten Offiziers blickten seltsam fremd und grollend.
Als die Glocke um sechs Uhr dreißig fünf Glasen läutete, hatte das Schneegestöber nachgelassen, und durch die Wolken sikkerte ein schwaches Sonnenlicht. Hinsen stand neben Arflane auf der Brücke und hatte ein Megaphon in der Hand. Die
Mannschaft kletterte in die Wanten; die Gestalten bewegten
sich in dem schweren Pelzzeug langsam hinauf. Auf dem
Deck, neben dem Hauptmast, stand Urquart, der die Männer in
den Rahen kommandierte. Er trug eine hohe Kapuze. Die
Ankerleute standen neben den Halteleinen bereit und achteten
auf das Zeichen Kapitän Arflanes.
Arflane blickte Hinsen an. »Alles klar, Hinsen?«
Hinsen nickte.
Arflane rief: »Leinen los!«
»Leinen los!« gab Hinsen das Kommando weiter.
Sekunden später ruckte der Schoner an.
»Hauptsegel setzen!«
Der Befehl wurde wiederholt und befolgt.
»Stagsegel setzen!«
Die Stagsegel wölbten sich, als sie den Wind auffingen, wölbten sich wie die Flügel riesiger Vögel. Das Schiff selbst schien sich in eine gewaltige Kreatur zu verwandeln, als es graziös an den anderen Booten vorbeiglitt und eine Doppelspur auf der schneebedeckten Eisfläche hinterließ. Die Eiskristalle fielen von der Takelung wie ein Diamantenregen. Die Ice Spirit ließ Friesgalt hinter sich und zog unter den tiefliegenden Wolken nach Norden. »Alle Segel auf, Hinsen.«
Tuch um Tuch wurde gesetzt, bis das Schiff unter vollen Segeln dahinglitt. Hinsen blickte Arflane fragend an; es war nicht üblich, den Liegeplatz mit vollen Segeln zu verlassen. Aber dann bemerkte er die Veränderung in Arflanes Gesicht, als der Schoner eine immer raschere Fahrt aufnahm. Der Kapitän entspannte sich sichtbar. Sein harter Gesichtsausdruck verschwand, seine Augen blickten heller, und seine Lippen schien sogar ein Lächeln zu umspielen.
Arflane atmete tief und schob seinen Gesichtsschirm zurück. Zum erstenmal seit seiner Aussprache mit Ulrica Ulsenn hatte er das Gefühl, als habe ihm jemand eine Last von den Schultern genommen. »Ja, das ist wirklich ein hübsches Schiff, Hinsen«, sagte er mit ungewohnt freundlicher Stimme.
Der alte Kristoff war überglücklich, seinen Kapitän wieder gut gelaunt zu sehen. »Aye, aye, Sir«, sagte er, ein wenig überstürzt, »ein hübsches Schiff, das ist wahr.«
Arflane reckte seinen ganzen Körper, als der Schoner die Schneedecke des scheinbar endlosen Eisplateaus durchpflügte. Unter ihm auf den Decks und über ihm in der Takelung bewegten sich die Matrosen wie schwarze Spukgestalten und arbeiteten unter den scharfen Augen Long Lance Urquarts. Manchmal legte Urquart seine Harpune weg und half einem Mann im unteren Takelwerk. Die Kälte und der Schnee, kombiniert mit der Notwendigkeit, dicke Handschuhe zu tragen, erschwerten selbst Walfängern die Arbeit, obwohl sie mit diesen Bedingungen besser fertig wurden als die Handelsmatrosen.
Seit Urquart an Bord gekommen war, um zu unterzeichnen, hatte Arflane kaum mit ihm gesprochen. Arflane war froh gewesen, den Harpunier an Bord zu wissen, und er bot ihm die Stelle des Dritten Offiziers an. Er hatte flüchtig darüber nachgedacht, weshalb der große Harpunier mitsegeln wollte, da er doch keine Ahnung hatte,
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