Untitled
sich hin.
»Warum ist dein Cousin so besorgt um mich?« fragte er.
»Ich weiß es nicht. Er hat dich immer gern gemocht.« Sie lächelte. »Vielleicht ist er auch um seine eigene Sicherheit besorgt, weil er annimmt, daß du das Schiff nicht richtig führst …«
Er nickte. »Er hat richtig gehandelt«, meinte er schließlich. »Ich hätte mich nicht aufregen sollen. Ich war eben schwach. Und ich weiß auch nicht, was ich tun soll, Ulrica. Soll ich mich von meinen Gefühlen zu dir derart beherrschen lassen? War es richtig, daß ich deinen Mann eingesperrt habe?«
»Das sind persönliche Fragen«, sagte sie leise, »die nur uns selbst betreffen.«
Er straffte seine Schultern. »Wie dem auch sei, Manfred hat recht. Ich sollte mich schämen …«
Sie deutete auf die Luke. »Sieh mal, es wird draußen heller. Gehen wir an Deck.«
Nur noch dünne Nebelschleier waren zu sehen, und das Sonnenlicht sickerte hindurch. Der Schoner bewegte sich langsam unter einem Drittel seiner Segelfläche.
Arflane und Ulrica gingen Hand in Hand das Deck entlang.
Das Braun und Weiß der Schiffsmasten und des Takelwerks und das Gelb des Elfenbeins waren von Sonnenlicht überflössen. Gelegentlich polterten die Kufen, wenn sie über eine unebene Stelle der Eisfläche glitten. Die Luft war warm. Die schmutzigen Decks verliehen dem Schoner zwar ein ramponiertes, aber kampferprobtes Aussehen und beleidigten die Augen Arflanes nicht so sehr, wie er angenommen hatte. Die Sonne zerriß nach und nach die Nebelschwaden und löste sie auf. Bald war von der Reling aus der ferne Horizont zu sehen. Sie überquerten eine Eisfläche, die in der Ferne von einer ununterbrochenen Gletscherkette begrenzt war, wie Arflane sie noch nie gesehen hatte. Sie war hoch, zerklüftet und schwarz. Das Eis war in allen Richtungen mit gelben Lichtern getupft, als die Wolken verschwanden und der blaue Himmel zu sehen war.
Ulrica griff nach Arflanes Arm und deutete nach Steuerbord. Aus dem klaren Himmel schwebte, wie aus einem geöffneten Wolkenkäfig flüchtend, ein dunkler Vogelschwarm hernieder. »Sieh nur die Farbe!« rief Ulrica überrascht.
Auch Arflane wunderte sich, denn die dominierende Farbe dieser Vögel war ein leuchtendes Grün. Alle Lebewesen, die er bisher gesehen hatte, hatten gedämpfte Farben, die sich der Umwelt angepaßt hatten zum Zweck des Überlebens. Der leuchtende Vogelschwarm war bald in Richtung der Gletscher am Horizont verschwunden.
Hinter sich hörte Arflane von der Brücke her eine Stimme. »In die Wanten! Alle Segel setzen!« Es war Urquart.
Arflane nahm behutsam Ulricas Hand von seinem Arm und ging mit raschen Schritten über das Deck auf die Brücke zu. Oben nahm er dem überraschten Harpunier das Megaphon aus der Hand und sagte: »In Ordnung, Urquart. Ich übernehme.« Er sprach mit einiger Anstrengung.
Urquart grunzte etwas und griff nach seiner am Steuerhaus lehnenden Harpune. Dann ging er zum Achterdeck und kehrte Arflane den Rücken zu.
»Hinsen!« Arflane verlieh seiner Stimme einen zuversichtlichen Klang, als er den Ersten Offizier rief, der neben einer der Lukentüren stand. »Schicken Sie den Bootsmann herauf!« Hinsen machte eine verstehende Handbewegung und rief einem Mann in den oberen Wanten des Hauptmastes etwas zu. Der Mann kam herunter, sprang auf das Deck und ging, von Hinsen begleitet, zur Brücke. Er war groß, kräftig gebaut und hatte den gleichen sorgfältig gestutzten Bart wie Arflane. »Sie sind Rorchenof, Bootsmann von der Ildiko Ulsenn , wie?« sagte Arflane, als sie unten auf dem Deck Aufstellung genommen hatten.
»Das ist richtig, Sir. Bevor ich zu den Walfängern ging.« In Rorchenofs Stimme schwang ein gewisser Stolz mit.
»Gut. Wenn ich sage: ›Alle Segel setzen‹, werden Sie ja wissen, was damit gemeint ist. Wir haben eine Chance, gute Fahrt zu machen. Also, dann lassen Sie jeden Zentimeter Segelfläche setzen. Verstanden?« »Aye, aye, Sir.«
Hinsen klopfte dem Mann auf die Schulter, und der Bootsmann bezog seine Position. Der Erste Offizier blickte skeptisch zu Arflane auf, als halte er nicht viel von seiner neuen Ent
schlossenheit.
»Sie halten sich bereit, Hinsen«, sagte Arflane und beobachtete Rorchenof, der die Männer zusammenrief und sie ins Takelwerk schickte. Arflane wartete, bis alle oben waren, setzte das Megaphon an die Lippen und rief: »Alle Segel setzen!« Bald wölbte sich über den Decks eine gewaltige Segeltuchwolke. Innerhalb weniger Minuten hatte der Schoner seine
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