Untitled
– den Helden, der das Gepäck auf Rädern erfunden hatte.
Max war in der Zwischenzeit wieder verstummt. Aber jetzt, als Jules den Schlüssel aus dem Zündschloss zog, startete er noch einen letzten Versuch. »Wir sind keine Freunde.«
Jules holte tief Luft und begegnete Max’ extrem bösem Blick. »Vielleicht betrachtest du mich nicht als deinen Freund«, sagte er. »Aber ich dich als meinen. Du hast mich immer freundlich und respektvoll behandelt, also behandle ich dich genauso, ob es dir nun passt oder nicht. Ich will gar nicht so tun, als wüsste ich, was du gerade empfindest, aber Gina war auch meine Freundin, und ich weiß genau, wie viel Schmerz ich empfinde. Also mach ruhig weiter, Süßer. Tob dich aus. Beschimpfe mich, so oft du willst. Du kannst auch einfach gar nicht mit mir reden – ich nehm’s nicht persönlich. Ich sitze im Flugzeug einfach neben dir. Ich erledige das, was erledigt werden muss. Ich kümmere mich darum, wo wir hi n müssen und was wir tun müssen, damit du damit nichts zu tun hast. Und, ob es dir passt oder nicht, ich komme mit in die Leichenhalle. Weil kein Mensch gezwungen sein sollte, so etwas alleine durchzustehen, schon gar nicht, wenn er einen liebenden Freund an seiner Seite hat.«
Für lange, lange Zeit sagte Max kein Wort. Er saß einfach nur da und versuchte, Jules mit seinen Blicken zu verbrennen. »Ich sollte dich einfach umbringen und in den Kofferraum stopfen«, meinte er schließlich.
Scheiße. Jules musste sich schwer anstrengen, um keine Reaktion zu zeigen. Er nickte nur und brachte sogar ein gleichgültiges Schulterzucken zustande. »Na ja, ich denke, das könntest du sicherlich versuchen …«
Max saß einfach nur da, mit starrem Blick. Doch dann schüttelte er den Kopf. Er stieg aus dem Wagen und ging los in Richtung Terminal, ohne sich um Jules zu kümmern.
Der sich seinen Regenmantel und seine Tasche schnappte und ihm nachging.
Sheffield Physical Rehab Center, McLean, Virginia
11 . November 2003
Vor neunzehn Monaten
»Nicht«, sagte Max und schloss die Augen, damit Gina mit ihrer neuen Digitalkamera nicht noch ein Foto machte und so für die Nachwelt festhielt, was für ein Weichei er war – um vier Uhr nachmittags im Schlafanzug und im Bett hier im Sheffield Physical Rehab Center, kurz vor seinem Mittag s schläfchen.
»Wie war’s?«, wollte sie wissen.
»Prima«, log er. In Wirklichkeit war die Physiotherapie schmerzhaft gewesen. Verdammt schmerzhaft. Außerdem hatte es ihn entmutigt, dass er gemerkt hatte, wie schwach er war, wie schnell er ermüdet war. Wie sehr ihn das Ganze e r schöpft hatte.
Gina trat an den Schreibtisch, der neben seinem Bett in die Wand eingelassen war, und legte vorsichtig die Kamera darauf. Sie hatte sich das verdammte Ding für ihre Kenia-Reise besorgt. Max hoffte, dass die Tatsache, dass sie sie au s gepackt und sich mit der Bedienung vertraut machte, nicht bedeutete, dass sie sich einen neuen Flug besorgt hatte.
Kenia. Mein Gott.
Er hatte versucht, ihr die Freuden und den Erlebni s reichtum eines Jurastudiums schmackhaft zu machen. Er hatte einen Kontaktmann an der New York University. Mit einem Empfehlungsschreiben von Max würde Gina dort innerhalb von Sekunden angenommen werden.
»Kevin hat gemeint, dass du große Schmerzen hast, aber dass du einfach nicht aufgibst«, sagte sie, während sie seine Beine zur Seite schob und sich auf das Bett setzte. »Er war tief beeindruckt.«
Kevin war einer dieser einfühlsam-feinfühligen Physi o therapeuten, der um jedes noch so unbedeutende Ereignis sofort ein riesiges Tamtam veranstaltete. Die alte Mrs. Klinger, die sich von einem Schlaganfall erholte, hat den rechten Zeigefinger einen ganzen Zentimeter hoch gehoben! Hurra, hurra, hurra! Ajay Mosley hält einen Bleistift in der Hand und hat zum ersten Mal seit dem Autounfall einen Satz an seine Großmutter geschrieben! Juu-huu! Vergessen wir einfach, dass der Junge nie wieder gehen kann. Vergessen wir, dass sein magerer kleiner Körper so schwer geschädigt ist, dass er eine neue Niere braucht, dass er auf Gedeih und Verderb von der Dialyse abhängig ist.
Max blickte Gina gleichgültig an. »Wenn du schon mit Kevin gesprochen hast, wieso fragst du mich dann überhaupt, wie es gelaufen ist?«
»Weil ich es so gerne mag, wenn du den stoischen Helden mimst«, sagte sie und beugte sich zu ihm herunter. Ihr Mund war nun gefährlich nahe an seinem, ihre Hand brannte auf seinem Oberschenkel. »Das macht mich richtig
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