Untitled
küssen.
Weil er zu große gottverdammte Angst gehabt hatte.
»Max, ich bin’s.« Jules Cassidy zog die Tür mit einem kräftigen Ruck hinter sich ins Schloss.
Oh Gott. Irgendwie fand Max seine Stimme wieder: »Nein.« Es war eine Art Knurren.
Cassidy zuckte nicht und zögerte nicht. »Mein Süßer, du stehst jetzt seit fast einer halben Stunde da«, sagte er sanft. »Ich will nur schnell das Tuch zur Seite schlagen, damit wir sie sehen können, okay?«
Ganz offensichtlich wollte Jules gar nicht, dass Max auf diese Frage antwortete, denn er ließ ihm keine Zeit dazu. Stattdessen griff er einfach nach dem Laken und …
Oh Gott, oh Gott, oh Gott! Gina hatte fürchterliche, gräs s liche Verbrennungen. Erschreckt trat Max einen Schritt zurück, aber dann …
Er verharrte. Sämtliche Luft war aus seinem Körper en t wichen, als hätte ihn jemand in den Magen geboxt, und er konnte nicht atmen, konnte nicht sprechen.
Im Gegensatz zu Jules. »Das ist sie nicht«, flüsterte er mit verwunderter Stimme. »Heilige Scheiße, das ist nicht Gina.«
Wer immer da in diesem Sarg lag, es war eine junge Frau mit langen, dunklen Haaren und einer auffälligen Nase. Als sie noch gelebt hatte, hatte sie Gina vermutlich sehr ähnlich gesehen, vor allem aus der Ferne. In der Dämmerung.
Aber, wer immer sie war, sie war mit Sicherheit nicht Gina Vitagliano.
Es lag absolut im Bereich des Möglichen, dass Max sich gleich übergeben musste.
Aber er wusste, dass er das nicht durfte, weil sich jetzt zu übergeben viel zu viel Zeit kosten würde.
Stattdessen wirbelte er herum und betrachtete die anderen Särge, die an den Wänden aufgereiht waren. Jules – guter Mann – wusste genau, was er dachte. Schnell eilte er Max zu Hilfe.
Die Schnallen waren nicht abgeschlossen. Sie schnappten auf und …
Alter Mann.
»Entschuldigen Sie die Störung, Sir.« Vorsichtig klappte Jules Cassidy den Deckel wieder zu.
Max war schon beim nächsten und bellte: »Er ist tot, das macht ihm nichts aus.«
Er klappte die Schnallen hoch, machte den Deckel auf und das Herz blieb ihm stehen, weil auch hier eine junge, dunke l haarige Frau lag, aber noch einmal Gott sei Dank, denn auch das war nicht Gina.
Trotzdem, mit einem Mal zerbrach etwas in ihm.
Er musste ein Geräusch von sich gegeben haben, denn sofort war Jules bei ihm, an seiner Seite. Jules … der einzige Mann aus Max’ Bekanntenkreis, der sich bei einer Leiche entschuldigte.
Oder es wagen würde, seinen Chef tröstend in den Arm zu nehmen. Seinen Chef, dessen erbarmungslose Härte im U m gang mit dämlichen Fehlern – einmal und schon gehörte man nicht mehr zu seinem Team – Legende war.
»Wir finden sie, mein Süßer«, sagte Jules zu Max, den Mund direkt an seinem Ohr. »Ganz bestimmt. Aber nicht hier, glaube ich.«
Etliche Schwindel erregende Sekunden lang war Jules vielleicht das Einzige, was Max noch aufrecht hielt.
»Oh Gott, ich will, dass sie noch am Leben ist«, presste er hervor, wagte es endlich, Gefühle zu äußern. Sein Wunsch war so groß, dass er seinem Urteil nicht traute, dass er nicht wusste, ob es tatsächlich eine realistische Möglichkeit war. Er machte sich von Jules los, wischte sich die Tränen vom G e sicht. Scheiß drauf, bis er Gina gefunden hatte, hatte er keine Zeit zu heulen. »Glaubst du wirklich, dass sie noch am Leben ist?«
Die Zärtlichkeit und das Mitgefühl in Jules’ Blick machten ihn wütend.
»Und beantworte diese Frage nicht als mein Freund, ve r dammt noch mal. Du bist nicht mein Freund. Scheiß auf die Freundschaft«, sagte Max, auch wenn er verdammt gut wusste, dass er dieses Gespräch nicht mit jedem x-beliebigen Untergebenen führen würde. »Du arbeitest für mich. Also stell dir vor, dein Job hängt davon ab, ob du mir deine eh r liche Meinung sagst – als erfahrener Agent im Außendienst.«
Jules nickte, während er den zweiten Sarg zuklappte und die an die darin Liegende beabsichtigte Entschuldigung dieses Mal für sich behielt. »Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas passiert.« Er warf Max einen Blick zu, während sie die nächste Kiste in Angriff nahmen. »Eine vertauschte Leiche. Das weißt du so gut wie ich, Sir. Fällt unter das leider viel zu weit verbreitete Murphy-Gesetz: Wenn etwas schief gehen kann, dann geht es auch schief.«
Er klappte die Schlösser auf, und Max wappnete sich, als sie den Deckel aufmachten und …
Junger Mann. Mächtig verstümmelter, mächtig toter junger Mann. Irgendwo saß seine Mutter
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