Untitled
es ist, du musst nur wissen, dass man sich um Lucy kümmern wird.«
»Und … weiter?«, sagte Gina. »Ich soll also einfach ve r gessen, was ich darüber weiß? Und wenn dann das nächste Mädchen hier auftaucht?«
»Dann machst du genau das Gleiche wie heute und sagst mir Bescheid. Und ich kümmere mich dann auch um sie«, meinte Molly. »Sieh mal, Gina, es tut mir leid. Ich hätte es dir schon längst sagen sollen.«
»Ja, allerdings«, meinte Gina. »Das hättest du.« Molly wusste, dass Gina nicht nur deshalb verärgert war, weil sie sie nicht mitmachen ließ. Sie war verärgert, weil Molly ihr während der gesamten Dauer ihrer Freundschaft etwas sehr Wichtiges vorenthalten hatte.
Doch jetzt hatte Molly noch ein Geheimnis. Eines, das noch größer war. Aber wenn sie auch nur das geringste Mi t spracherecht hatte, dann würde sie Gina schon in wenigen Minuten einweihen.
Nach Jones’ Eintreffen.
Es war doch eine naheliegende Lösung, Gina zu sagen, dass Leslie Pollard und Dave Jones ein und derselbe Mann waren. Dann gab es auch keine peinliche Neugierde mehr, wieso Molly sich eigentlich die Zehennägel lackierte, anstatt von Trauer überwältigt zu sein. Und Molly müsste kein schlechtes Gewissen haben, weil sie noch ein Geheimnis vor ihrer besten Freundin verbarg.
Aber das Beste wäre, dass Jones auf eine Tasse Tee zu ihnen ins Zelt kommen konnte, ohne dass die anderen daran Anstoß nehmen würden – nur, dass er und Molly dann offen miteinander reden konnten.
In Ginas Gegenwart selbstverständlich. Die Lagerregeln schrieben einen Anstandswauwau vor.
Aber das wäre immer noch sehr viel besser als ein g e legentliches zugeflüstertes Wort bei einer kurzen Begegnung im Küchenzelt.
Jones war bestimmt damit einverstanden.
»Na, komm schon«, sagte Molly. »Hilf mir mal.«
Halbherzig räumte Gina ihre Seite des Zeltes auf. Sie nahm ein paar Socken von der Wäscheleine, Socken, die sie schon vor Tagen ausgewaschen und aufgehängt hatte.
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Leslie heute Abend wirklich hier auftaucht, oder?«, fragte sie und warf die Socken in ihre Truhe.
Molly glaubte es nicht nur, sie wusste es. »Wieso denn nicht?«, wollte sie wissen.
Gina schüttelte den Kopf.
Und Jones klopfte an den Holzrahmen des Zeltes.
Mollys Herz machte einen Sprung. Nur, das hier sollte ja eigentlich eine Totenwache sein. Sie machte ein möglichst bedrücktes Gesicht und öffnete die Tür. »Mr. Pollard. Bitte treten Sie ein.«
»Danke.« Er blickte ihr nur kurz in die Augen, aber das reichte schon, um in ihr das Bedürfnis zu wecken, ein dä m liches Grinsen aufzusetzen. Nicht lächeln.
Er trug eines seiner grässlichen Karohemden, am Hals und an den Handgelenken zugeknöpft bis obenhin. Obwohl es draußen dunkel war, schmückte ein Sonnenhut sein Haupt. Auch Jones lächelte nicht. Aber immerhin gelang es ihm, sie beim Eintreten kurz zu streifen.
Gütiger Himmel. »Tee?«, fragte sie, und ihre Stimme klang unnatürlich hoch.
»Gerne«, erwiderte er und nickte Gina zur Begrüßung zu, während er sich auf einem ihrer beiden Stühle niederließ.
Molly konnte seine Blicke spüren, während sie Tee ei n schenkte. Plötzlich war es sehr warm im Zelt.
Gina räusperte sich. »Also, ähm, Leslie«, sagte sie b e klommen – seltsam. Wann war Gina anderen gegenüber schon mal beklommen? »Wie gut haben Sie … ähm, David Jones gekannt?«
Auch er räusperte sich. »Ich fürchte, nicht besonders gut.«
Molly reichte ihm seinen Teebecher und blickte ihn forschend an. »Ich denke wirklich, wir sollten Gina die Wah r heit über …«
Sein Blick war die reinste Warnung. »Die Wahrheit ist, dass Jones den Zorn einiger äußerst gefährlicher Männer in Indonesien auf sich gezogen hat«, sagte er mit seinem britischen Kolonialistenakzent. »Wäre er nicht gestorben, dann wäre er über kurz oder lang ein paar üblen Burschen in die Hände gefallen – weil er nicht genügend aufgepasst hat.«
Und, nur für den Fall, dass sie seine Botschaft nicht klar und deutlich empfangen hatte, schloss er sofort eine lan g atmige Erzählung über seine Busfahrt mit den Priestern von Nairobi hierher an.
Molly hatte Gina den Rücken zugewandt und schnitt ihm eine Grimasse.
Er kam nicht einmal ins Stocken, beschrieb den Bus bis ins letzte, unerträgliche Detail und machte dann mit den Mi t reisenden weiter.
»Pater Dieter – nun, ihn haben Sie natürlich kennen g e lernt. Er verfügt wirklich über eine sehr schöne
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