Untitled
gedachte.
„Vielleicht schmeckt ihm Ihre Blutgruppe, meine Liebe", erwiderte der Geistliche nicht eben geschmackvoll angesichts der augenblicklichen Situation. Er war sehr ungnädig. Die nochmalige Störung seines Schlafes und die Gewißheit, in einer halben Stunde die Messe lesen zu müssen, versetzten ihn nicht unbedingt in einen Freudentaumel. Mürrisch verabschiedete er sich von der Nachbarin. Auch die Aufforderung, am Nachmittag ein Stück der von ihm so geschätzten Buttercremetorte zu genießen, ließ ihn nicht heiterer in die Welt blicken. Die alte Dame aber, als sie die Torte erwähnte, durchfuhr ein Riesenschreck.
„Hochwürden! Hochwürden", rief sie lauthals hinter dem Geistlichen her. Mit dem letzten bißchen Beherrschung, das ihm noch zur Verfügung stand, drehte sich Hochwürden um. „Was gibt es denn jetzt noch?"
„Ach du liebe Zeit, Hochwürden! Aber heute nachmittag habe ich mein wöchentliches Damenkränzchen, und meine Freundinnen haben die Angewohnheit, erst einmal einen Rundgang durch mein Haus zu starten, um festzustellen, ob ich etwas Neues erstanden habe! Und ..."
„Sagen Sie doch einfach, Sie hätten einen Vampir gekauft! Wo ist da das Problem?" Ein Anflug von Bosheit schwang in der priesterlichen Stimme mit.
„Herr Pfarrer! Bitte verzeihen Sie, aber Sie sind wirklich unmöglich! Was soll ich denn nur tun? Die Damen verschonen auch meinen Keller nicht. Sie wissen doch, mein Rumtopf. Die haben immer Angst, ich könnte ihnen etwas vor enthalten!"
„Wobei sie diesmal gar nicht so verkehrt liegen dürften", brummte der Priester.
„Aber wenn sie heute den Keller verschlossen finden? Wie soll ich ihnen das erklären?" Verzweifelt schaute sie den Priester an, der, als er sich das Gezeter und die unberechenbare Neugierde diverser feiner Damen auf einem Haufen gut vorstellen konnte, gedankenverloren sein geistliches Haupt kratzte.
„Meine Liebe, mir fällt beim besten Willen keine Lösung ein. Außerdem muß ich zur Messe. Ich schaue später noch mal bei Ihnen vorbei. Bitte gedulden Sie sich solange, aber ich muß mich jetzt auf meine Pflichten konzentrieren!" Damit wandte er sich rasch um und strebte mit einer ihm sonst absolut ungewohnten Schnelligkeit seinem Haus zu.
Allmählich wuchs beiden die geheimnisvolle Angelegenheit über die in Ehren ergrauten Köpfe.
„Was soll ich nur machen", jammerte die alte Dame verzweifelt. „Am besten wäre es, den Doktor aufzusuchen. Vielleicht weiß er einen Rat." Dieser Einfall ließ sie wieder etwas zuversichtlicher in die nahe Zukunft schauen.
Sie erinnerte sich mit einem nicht unangenehmen Schauer an die starken Arme des Arztes, als er sie so mühelos auf den Grabstein gehoben hatte. Eilig machte sie sich auf den Weg.
Auf ihr Klingeln öffnete die Schwester des Doktors, die die alte Dame mißtrauisch musterte. In jedem weiblichen Wesen, egal welchen Alters, sah sie eine Art Konkurrentin, die es nur auf ihren Bruder abgesehen hatte. Eifersüchtig wachte sie über dessen Junggesellendasein.
„Sie wünschen?" fragte sie näselnd und schaute abschätzig auf die kleine Dame herunter.
Geistesgegenwärtig griff Madame sich an die Stirn und hauchte: „Mir ist so eigenartig! Ich glaube, ich werde ohnmächtig!" Gekonnt, aber doch vorsichtig, um sich nicht unnötig zu verletzen, glitt sie zu Boden. Entsetzt rannte das Fräulein ins Sprechzimmer, um den Arzt zu informieren.
Währenddessen beobachtete Madame vorsichtig den zum Haus führenden Kiesweg. Es wäre ihr peinlich, sollte gerade jetzt ein Patient dort entlangkommen, um den Arzt zu konsultieren, da sie sich hätte unvermeidlich rechtfertigen müssen. Doch sie hatte Glück.
Gleich darauf hörte sie schnelle Schritte den Flur entlangkommen. Rasch schloß sie wieder die Augen und versuchte, ihrem Gesicht einen entspannten, friedlichen Ausdruck zu verleihen. Schon beugte sich der Doktor besorgt über sie.
„Ach du liebe Zeit", rief er fassungslos, als er die nette Nachbarin von Hochwürden erkannte.
„Faß schnell mit an", wandte er sich an seine Schwester, die sich ein hämisches Lächeln nicht verkneifen konnte.
„Wir wollen sie im Wohnzimmer auf die Couch legen. Hoffentlich kommt sie schnell wieder zu sich. Sei so gut und kümmere dich derweil um die anderen Patienten."
Nachdem sie die alte Dame gut gelagert hatten, verließ die Schwester das Zimmer.
„Ist sie fort?" flüsterte Madame Vanille
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