Untitled
sein, legte er die Kette um den Hals. Am Friedhofstor schauten sie sich nochmals um und sahen den Vampir hochaufgerichtet im Mondlicht auf seinem Grabmal stehen. Grüßend hoben sie die Hände.
V.
Zu aufgewühlt waren die nächtlichen Friedhofsbesucher, als daß sie sich sogleich hätten zu Bett begeben können. Da das Haus der alten Dame nicht nur das nächste, sondern auch das gemütlichste war, lud sie die beiden Herren noch auf ein Gläschen Rumtopf zu sich ein.
„Es ist zwar niemals meine Art gewesen, Herren zu so später Stunde zu empfangen, aber nach diesem Erlebnis dürften falsche Moralvorstellungen wohl fehl am Platze sein."
Madame fühlte sich zu dieser Erklärung verpflichtet. Eine leichte Röte breitete sich zart über ihre Wangen.
„Ich bin ja dabei", meinte Hochwürden lächelnd und hielt die Tür auf.
Nachdem die beiden Gäste in zierlichen Plüschsesseln Platz gefunden hatten, empfahl sich die alte Dame für einen kurzen Moment.
„Sie hat uns einen ganz schönen Strich durch die Rechnung gemacht", brummte Hochwürden schon wieder weniger freundlich. „Dabei war meine Neugier schier unerträglich. Aber wirklich, ein netter Kerl, dieser Herr von Grauenstein. Ich muß schon sagen, der hat Stil. Bin schon enorm gespannt, wann wir endlich seine Lebensbeichte zu hören bekommen."
„Ich bin eigentlich froh darüber, daß er heute schon die Bekanntschaft unserer Freundin gemacht hat. Sie wäre uns bestimmt auf die Schliche gekommen, was zu einem späteren Zeitpunkt wesentlich unangenehmer hätte werden können. Außerdem bin ich überzeugt davon, daß sie, um des spannenden Erlebnisses willen, Stillschweigen bewahren wird. Eine Schwätzerin war sie doch noch nie, oder?" lenkte der Doktor ein.
„Ihr Wort in Gottes Ohr!" meinte der Geistliche wenig versöhnt.
Madame Vanille betrat soeben das Wohnzimmer. Die weiße, frisch gestärkte Rüschenschürze über ihrem dunklen Kleid verlieh ihr ein adrettes Aussehen. Sie trug ein großes Tablett, das sie auf einem kleinen Tischchen abstellte.
Die Zusammenkunft der drei betagten Herrschaften wirkte beinahe wie ein klassisches Verschwörertreffen, bei dem es Zukünftiges und vor allem Geheimes zu planen galt. Nach und nach jedoch verhalf der Rumtopf den dreien zu einer wohligen Bettschwere.
Hochwürden war der erste, der die gemütliche Runde sprengte. „Ich bin müde. In ein paar Stunden erwartet man von mir, daß ich eine Messe lese. Darf ich mich empfehlen, Teuerste?"
„Ich schließe mich an", gähnte der Doktor. „Auch meine Patienten werden zur gewohnten Stunde das Wartezimmer stürmen. Ein unausgeschlafener Arzt findet nur wenig Verständnis. Gute Nacht, liebe Madame Vanille!"
Nachdem sich die beiden Herren verabschiedet hatten, nahm die alte Dame nochmals für einen kurzen Augenblick im Wohnzimmer Platz. Die Hände in ihrem Schoß gefaltet schaute sie sehnsuchtsvoll zu dem Bildnis ihres geliebten Gatten auf.
„Wie würde ich uns dieses Erlebnis gemeinsam gönnen", seufzte sie. „Du hattest doch immer so viel Sinn für das Mystische." Sie seufzte. Dann jedoch unterbrach sie energisch ihre Andacht, stand auf, strich die Schürze glatt, hob das Tablett von dem kleinen Tischchen und trug es hinaus in die Küche. Als sie zu Bett gegangen war, fiel sie sogleich in einen tiefen Schlummer.
Ein ungewöhnliches Geräusch riß sie plötzlich aus ihren angenehmen Träumen. Wie lange sie geschlafen hatte, wußte sie nicht zu sagen. Da! Was war das nur? Ein Blitz erhellte das kleine Schlafzimmer. Erleichtert aufatmend legte sich die alte Dame zurück in die Kissen.
„Wird wohl nur das Grollen des Donners gewesen sein, das mich geweckt hat", dachte sie beruhigt, drehte sich zur Wand und hoffte, baldmöglichst wieder einzuschlafen.
Erneut blitzte es! Das Fensterkreuz warf seine dunklen Schatten auf die weiße Wand gegenüber. Aber war da nicht noch etwas anderes zu sehen? Die alte Dame erstarrte! Eine Hand versuchte, tatsächlich das Fenster zu öffnen!
Unfähig sich zu bewegen, verharrte sie zitternd und schloß die Augen. Sie hoffte damit dem Alptraum zu entfliehen. Das unheimliche Schaben und Kratzen aber ließ sie kaum zu Atem kommen. Krampfhaft versuchte sie, ihrer wirr durcheinanderkreisenden Gedanken Herr zu werden. „Was würde nur mein Seliger in dieser Situation tun?"
Der Gedanke an den geliebten Gatten gab ihr sogleich Ruhe. Sie öffnete die Augen und fing an,
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