Untitled
entwickelte, und wir waren beim Service passe. Unsere Chefin hat uns auch nicht gerade unterstützt.«
»Es war ein öffentlicher Fall. Ich nehme an, da mußte es Helden und Schurken geben.« Über einem kalten Bier konnte ich so philosophisch werden wie jeder andere.
»Vielleicht ist es gut so«, sinnierte Mike Devine. »Haben Sie je daran gedacht, noch mal von vorn anzufangen, was anderes zu machen, solange Sie noch die Energie dazu haben? Ehe Sie Alzheimer kriegen?«
»Ich habe daran gedacht, privat zu praktizieren«, sagte ich zu Devine. »Ich bin Psychologe. Ich arbeite immer noch kostenlos in den Sozialsiedlungen.«
»Aber Sie lieben den Job zu sehr, als daß Sie ihn aufgeben könnten?« Mike Devine grinste und schaute mit zusammengekniffenen Augen in die Spätnachmittagssonne, die sich im Wasser widerspiegelte. Graue Seevögel mit weißer Brust flogen an der Terrasse vorbei. Hübsch. Alles hier war hübsch.
»Hören Sie, Mike. Ich möchte noch einmal die letzten zwei Tage vor der Entführung durchgehen«, sagte ich zu ihm.
»Gottverflucht noch mal, Sie sind ja total davon besessen, Alex. Ich bin jeden Quadratzentimeter auf diesem Terrain abgegangen. Glauben Sie mir, dort ist nichts. Brachland. Da wächst nichts. Ich habe es immer wieder versucht, und schließlich habe ich das Phantom aufgegeben.«
»Ich glaube Ihnen. Aber ich bin immer noch neugierig wegen einer neuen Limousine, die vielleicht in Potomac gesehen worden ist. Möglicherweise ein Dodge«, sagte ich. Das war das Auto, das Nina Cerisier in Langley Terrace gesehen hatte. »Ist Ihnen in der Sorrell Avenue je eine parkende blaue oder schwarze Limousine aufgefallen? Oder irgendwo in der Nähe der Tagesschule?«
»Wie gesagt, ich bin unsere Tagesberichte immer wieder durchgegangen. Da war kein rätselhaftes Auto. Sie können die Berichte selbst nachlesen.«
»Habe ich schon«, sagte ich ihm und lachte darüber, wie hoffnungslos mein Fall aussah.
Mike Devine und ich unterhielten uns noch eine Weile. Er hatte mir nichts Neues zu sagen. Schließlich hörte ich ihm zu, wie er das Strandleben rühmte, das Fischen in den Keys, das »Schlagen nach dem kleinen weißen Ball«. Sein neues Leben fing erst richtig an. Er hatte die Dunne-Goldberg-Entführung >
viel besser überstanden als ich.
Trotzdem störte mich noch etwas. Die ganze Geschichte mit dem »Komplizen«. Und das mit dem »Beobachter«. Es war mehr als das. Ich hatte so ein Gefühl, was Devine und seinen Partner anlangte. Ein ungutes Gefühl. Irgend etwas sagte mir, daß sie mehr wußten, als sie verraten wollten.
Während ich immer noch so heiß wie eine Zehn-Dollar Pistole war, beschloß ich am selben Abend, Kontakt mit Devines ehemaligem Partner Charles Chakely aufzunehmen. Nach seiner Entlassung waren Chakely und seine Familie nach Tempe, Arizona, gezogen.
Nach hiesiger Zeit war es Mitternacht, zehn Uhr in Tempe. Nicht zu spät, meinte ich. »Charles Chakely? Hier ist Detective Alex Cross. Ich rufe aus Washington an«, sagte ich, als er sich meldete.
Eine Pause entstand, ein unbehagliches Schweigen, ehe er antwortete. Dann wurde Chakely aggressiv – es kam mir ganz seltsam vor. Seine Reaktion gab meinem Instinkt über ihn und seinen Partner noch mehr Nahrung.
»Was, zum Teufel, wollen Sie?« ging er hoch. »Warum rufen Sie mich hier an? Ich bin jetzt vom Service pensioniert. Ich versuche, das Vergangene hinter mir zu lassen. Lassen Sie mich zum Teufel in Ruhe. Pfoten weg von mir und meiner Familie.«
»Hören Sie. Es tut mir leid, daß ich Sie behellige –«, wollte ich mich entschuldigen.
Er schnitt mir das Wort ab. »Dann lassen Sie's. Das ist ganz einfach, Cross. Verschwinden Sie aus meinem Leben.«
Ich konnte mir Charles Chakely ganz gut vorstellen, während ich mit ihm sprach. Ich erinnerte mich aus den Tagen unmittelbar nach der Entführung an ihn. Er war erst einundfünfzig, sah aber wie über sechzig aus. Bierbauch. Nicht mehr viel Haar. Trauriger, irgendwie nach innen gerichteter Blick. Chakely war ein körperlicher Beweis für den Schaden, den der Job anrichten konnte, wenn man es zuließ.
»Unglücklicherweise bin ich immer noch mit etlichen Morden befaßt«, sagte ich zu ihm, in der Hoffnung aufsein Verständnis. »Dabei geht es auch um Gary Soneji/Murphy. Er ist zurückgekommen, um eine Lehrerin an der Schule umzubringen. Vivian Kim.«
»Ich hab' gedacht, Sie wollen mich nicht behelligen. Warum tun Sie nicht einfach so, als hätten Sie gar nicht erst angerufen?
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