Untitled
Scheiße, wie blamabel und wie enttäuschend. Wie konnten sie bloß mit solchen Leuchten in ihrem Aufgebot damit rechnen, ihn zu schnappen. Sie hätten wenigstens versuchen können, es für ihn spannend zu machen.
Manchmal, vor allem in Augenblicken wie diesem hier, hätte Gary Soneji am liebsten die unausweichlichen Wahrheiten des Universums verkündigt.
Erstens . Hör zu, du schwarze Bullenschlampe! Weißt du nicht, wer ich bin? Du fällst auf so ein bißchen fadenscheinige Tarnung herein? Ich bin der, den du seit drei Tagen in jeder Nachrichtensendung gesehen hast. Du und die halbe Welt, Aretha, Baby.
Zweitens. Ich habe das Verbrechen des Jahrhunderts perfekt geplant und begangen. Ich bin jetzt schon größer als John Wayne Gacy, Jeffrey Dahmer, Juan Corona. Alles ging nach Plan, bis der reiche kleine Junge blau angelaufen ist.
Drittens . Schau doch richtig her. Schau mich gründlich an. Sei einmal in deinem Leben eine gottverfluchte Heldin. Sei mal was anderes als eine dicke schwarze Null an der Autobahnschranke. Schau mich an, wird's schon! Schau mich an!
Sie gab ihm das Wechselgeld. »Fröhliche Weihnachten, Sir.«
Gary Soneji zuckte die Achseln. »Ebenfalls«, sagte er.
Als er von den blinkenden Lichtern an der Mautschranke wegfuhr, stellte er sich die Polizistin mit einem lächelnden Ballongesicht vor. Er sah vor dem geistigen Auge ein ganzes Land voller lächelnder Ballongesichter. Und die Vision bekam etwas Reales.
Es wurde schlimmer als in Die Körperfresser kommen . Konnte ihn zum Wahnsinn treiben, wenn er darüber nachdachte, was er unterdrückte. Ein Land voller lächelnder Ballonköpfe. Er liebte Stephen King, identifizierte sich mit dem Fürsten des Bösen und wünschte sich, daß der King über die ganzen lächelnden Idioten in Amerika schrieb. Er konnte den Schutzumschlag von Kings Meisterwerk vor sich sehen – Ballonköp fe .
Vierzig Minuten später bog Soneji in dem zuverlässigen Saab in Crisfield, Maryland, von der Route 413 ab. Er raste den zerfurchten Feldweg zum alten Farmhaus entlang. Er mußte lächeln, mußte lachen. Er hatte sie total verladen und ausgetrickst. Total reingelegt.
Bis jetzt wußten sie nicht, wo oben oder unten war. Er hatte den Fall Lindbergh jetzt schon überboten, nicht wahr? Jetzt war es Zeit, den Ballonköpfen wieder den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
22. Kapitel
Es war eindeutig: die Vorstellung ging los! Ein Schnellkurier des FBI war kurz vor halb elf am Morgen des sechsundzwanzigsten Dezember in der Dienststelle eingetroffen. Er hatte die neue Nachricht von Lindberghs Sohn gebracht.
Wir wurden wieder in den Krisenraum im ersten Stock gerufen. Der ganze FBI-Stab schien da zu sein. Das war der entscheidende Augenblick, und alle wußten es.
Gleich darauf stürzte Sonderagent Bill Thompson aus Miami herein. Er schwenkte einen der Kurierumschläge, deren Anblick mir vertraut war. Thompson machte vor der Versammlung vorsichtig den orange-blauen Umschlag auf.
»Er wird uns die Nachricht zeigen. Bloß vorlesen wird er sie uns nicht«, witzelte Jeb Klepner vom Secret Service leise. Sampson und ich standen neben Klepner und Jezzie Flanagan.
»Oh, diesen ganzen Druck will er nicht allein auf sich nehmen«, sagte Jezzie voraus. »Diesmal weiht er uns ein.«
Thompson vor uns war soweit.
»Ich habe eine Nachricht von Gary Soneji. Sie lautet folgendermaßen.
Hier steht die Zahl eins «, verlas Thompson. »Dann, in Buchstaben, zehn Millionen . In der nächsten Zeile steht die Zahl zwei . Dahinter die Worte Disney World, Orlando – Das ver zauberte Königreich . Nächste Zeile. Die Zahl drei . Dann: Par ken Sie bei Pluto 24. Überqueren Sie die Lagune der Sieben Meere mit der Fähre, nicht mit der Einschienenbahn. Heute um
12.50 Uhr. Um 1.15 Uhr ist die Aktion abgeschlossen . Letzte Zeile. Das Lösegeld überbringt Detective Alex Cross. Allein. Unterschrieben mit Lindberghs Sohn .«
Bill Thompson schaute sofort auf. Sein Blick ging suchend durch den Krisenraum. Es war nicht schwer, mich unter den Zuhörern zu finden. Ich kann garantieren, daß sein Schock und seine Überraschung im Vergleich zu mir gar nichts gewesen waren. Ein Adrenalinschub strömte schon durch meinen Kreislauf. Was zum Teufel hatte Soneji mit mir vor? Woher wußte er über mich Bescheid? Wußte er, wie versessen ich darauf war, ihn zur Strecke zu bringen?
»Keinerlei Verhandlungsvorschlag!« Sonderagent Scorse ging hoch. »Soneji geht einfach davon aus, daß wir ihm die zehn
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